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Götterdämmerung

Götterdämmerung

Titel: Götterdämmerung
Autoren: Sven Böttcher
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ins Herz geschlossen und bei sich aufgenommen, so wie er alles bei sich aufnahm, was ihm gefiel und keinen festen Platz im Leben hatte. Und Diana gehörte in diese Kategorie. Ursprünglich hatte sie zwar Lehrerin werden und wenigstens eine Handvoll junger Menschen vor der geistigen Verödung retten wollen, war jedoch sehr schnell von backenbärtigen Mathematikerscharen mit breiten Ellenbogen abgedrängt worden und hatte sich schließlich auf dem Fahrersitz eines klapprigen Kurierautos wiedergefunden. Das war nicht der richtige Ort für eine Frau wie sie gewesen, und seit sie Erasmus kennengelernt hatte, wusste sie endlich, wo dieser Ort war.
    Das ergab zwar keinen Sinn, aber es stimmte. Obwohl Diana erst zweiunddreißig war, wusste sie schon genug von den eigenwilligen Prinzipien des Lebens, um sich wegen solcher Dinge nicht den Kopf zu zerbrechen. Sie gehörte in dieses Haus, an die Seite dieses Mannes, der Salatbars reparierte, eine sensationell erfolglose Okkultismus-Detektei betrieb, und der ihre körperlichen Vorzüge überhaupt nicht zur Kenntnis nahm, obwohl er der Erste war, bei dem es sie nicht gestört hätte.
    Diana stellte den Kuchen auf den kleinen Couchtisch, den sie zur Feier des Tages von Büchern befreit hatte. Dann drückte sie Erasmus einen Kuss auf die Stirn und sagte: «Jetzt musst du die Kerzen ausblasen und dir was wünschen.»
    Als Erasmus sich vornüberbeugte, um genau das zu tun, hatte er schon wieder vergessen, dass er sich von diesem Tag an nie wieder das Gesicht waschen wollte.
    «Alle?», fragte er.
    «Alle.»
    «Auf einmal?»
    «Auf einmal.»
    «Knifflig.»
    «Versuch’s.»
    Erasmus holte tief Luft und versuchte es. Als er alle Kerzen ausgeblasen hatte, sah er Diana an und lächelte zufrieden.
    «Und jetzt», sagte sie, «musst du dir was wünschen.»
    «Gut», sagte er und schloss die Augen. Ohne lange nachzudenken, wünschte er sich, dass Diana niemals fortginge und dass sie ein ganzes Haus voller Kinder hätten. Er hatte sich schon oft gefragt, weshalb keine Kinder in seinem Haus waren – und wäre wahrscheinlich sogar auf die Lösung gekommen, wenn ihn nicht ständig irgendwelche interessanten Gedanken abgelenkt hätten.
    Er schlug die Augen wieder auf.
    «Und?», fragte Diana.
    «Was, und?»
    «Was hast du dir gewünscht?»
    «Das darf ich nicht sagen. Sonst geht es nicht in Erfüllung.»
    «Stimmt. Na gut,
ich
wünsche dir jedenfalls alles Glück dieser Erde», sagte Diana. «Und dass deine Wünsche in Erfüllung gehen. Alle. Und dass du mindestens hundert Jahre alt wirst.»
    «Vielen Dank … Und dass wir mal einen Auftrag kriegen. Hat jemand angerufen?»
    «Für ‹Argwohn›?»
    «Ja.»
    «Nur eine Frau.»
    «Und? Was wollte sie? Fragen zum großen Übergang, oder eher was Kleines?»
    «Nein. Sie hatte nur irgendwo gelesen, dass manche Leute Gläser rücken, und wollte fragen, ob wir das auch mit Sofas und Klavieren machen.»
    «Aha. Schade.»
    «Ja.» Diana nickte. Niemand schien an einer okkulten Detektei interessiert zu sein, schon gar nicht an einer, die sich selbstkritisch
Argwohn
nannte. Seit sie bei Erasmus war, hatte es nur wenige Anrufe gegeben, vorwiegend von Leuten, die kichernd behaupteten, sie hätten Korngreise entdeckt, vor dem Lidl, oder die mit Herrn Maya sprechen wollten, wegen der Agenda 2012 , und über Okkultismus und «Spiritualität, Prost!» lachten wie über alles, was sie nicht begriffen. Diana vermutete stark, dass diese Leute von morgens bis abends giggelten und glucksten.
    Das Telefon klingelte.
    Erasmus ging zum Schreibtisch, wühlte sich durch einen Berg Werbesendungen und drückte sich den Hörer ans Ohr.
    «Hallo …?»
    Das Telefon klingelte erneut.
    «Das ist das andere», sagte Diana erschrocken. «Das Argwohn-Telefon.»
    «Oh. Und wo ist das?»
    «Baal!»
    Der große schwarze Hund trottete schwanzwedelnd auf Diana zu. «Baal, such das Telefon. Such.»
    Gottlob war der Anrufer sehr geduldig. Nach dem zehnten Klingeln ortete der riesige Hund den Apparat unter zwei alten Decken, diversen Büchern und einem Stoß Zeitungen und buddelte ihn aus.
    «Detektei Argwohn», hauchte Diana stolz in die Leitung und lauschte. Ihre Miene hellte sich auf, während sie dem Unsichtbaren zuhörte. Dann sagte sie: «Augenblick. Ich verbinde Sie mit Herrn Weinberger», und drückte sich den Hörer an die Brust.
    «Erasmus!»
    «Was denn?»
    «Ein Herr Ernst. Klingt wichtig.»
    «Oh.» Erasmus nahm den Hörer entgegen und räusperte sich. «Ja, Weinberger.»
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