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Götterdämmerung (German Edition)

Götterdämmerung (German Edition)

Titel: Götterdämmerung (German Edition)
Autoren: Angela Schwarzer
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hatte er dafür genügend Zeit. Nein, Ben musste allein klarkommen!
    Er bog in eine kleine Gasse ein. Vor Jahrzehnten waren die gedrängt stehenden Altbauten mit ihren Giebeln, Wandverzierungen und Balkonen eine bevorzugte Wohngegend gewesen, doch inzwischen konnte man die Schönheit der verfallenen Gebäude nur noch erahnen. Ben stolperte über einen scharfkantigen Ziegelstein. Durch ein angelehntes Fenster hörte er Stimmen. Ein Kind kreischte. An einer Wand stand in roten Buchstaben „Verpiss dich!“. Ben achtete kaum auf die Häuser. Er konzentrierte sich auf den Motorroller. Das Fahrzeug musste ebenfalls abgebogen sein, denn er hörte sein Summen weiterhin dicht hinter sich. Der Junge beschleunigte seinen Schritt, drehte sich jedoch nicht um. Vielleicht ließ ihn der Fremde in Ruhe, wenn er ihn nur hartnäckig genug ignorierte!
    Er war kaum zwei Häuser weiter gekommen, als sich aus einem Eingang zwei Schatten lösten. Ben konnte die beiden Männer im hellen Licht der Straßenlaternen genau erkennen. Der eine war kräftig, beinahe dick und trug eine abgewetzte Kunstlederjacke, die seine Schultern aufpolsterte und seinem Oberkörper dadurch die Form eines gewaltigen Quaders verlieh. Der andere hingegen war so dünn, dass die fleckige Hose um seine Beine schlotterte. In der Hand hielt er eine Pistole. Beide Männer hatten das Gesicht zu einem herablassenden Grinsen verzogen und liefen langsam auf ihn zu.
    Ben holte tief Luft. Er musterte kurz das Gebäude, neben dem er stand, registrierte, dass mehrere Fenster beleuchtet waren und stürzte dann die Treppenstufen zur Haustür hinauf, wo er alle sechs Klingelknöpfe auf einmal drückte.
    Macht auf! , rief er in Gedanken. Seine Hand lag auf dem Türknauf.
    Niemand reagierte. Ben bemerkte lediglich einen Schatten am Fenster, der gleich wieder verschwand. Er sah zurück zur Straße. Die beiden Männer waren noch ein gutes Stück von ihm entfernt. Sie bewegten sich so gemächlich, als wüssten sie, dass er ihnen nicht entkommen konnte. Der Kräftige kickte einen Stein in seine Richtung. Jetzt erst fiel Ben auf, dass das Summen des Motorrollers hinter ihm verstummt und von dem Geräusch schwerer Schuhe auf Asphalt ersetzt worden war.
    Er drehte sich um. Der Fremde befand sich so dicht hinter ihm, dass Ben die Aufschrift auf seinem Ledermantel lesen konnte: Spirit 30 . Er hatte keine Ahnung, was das bedeuten sollte. Irgendwie hoffte er immer noch, dass sich die Situation als Missverständnis herausstellen und der Mann einfach an ihm vorbeilaufen würde. Vielleicht wohnte er ja in der Nähe und wollte überhaupt nichts von ihm! Genauso wie die beiden anderen! Doch der Fremde hielt seinen Blick weiter auf Ben gerichtet, die Mundwinkel spöttisch verzogen, als wollte er sich über Bens Angst lustig machen. Betrachtete man nur die untere Gesichtshälfte, wirkte der Mann keineswegs bedrohlich. Aber Ben sah seine Augen. Sie waren starr und kalt wie Glasaugen. Nur dass Glasaugen normalerweise nicht diesen Hass ausstrahlten.
    Als der Fremde die unterste Treppenstufe erreichte, ließ Ben den Türknauf los. Er versuchte, ruhig zu bleiben. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er leise.
    „Und ob!“, erwiderte der Mann. Ben sah, dass er in die Tasche seines Ledermantels griff. Als die Hand wieder zum Vorschein kam, hielt sie ein Messer. Die Klinge leuchtete in grellem Blau. Ein leises Sirren ging von der Waffe aus.
    Ben reagierte sofort. Er ließ die Tasche mit den Einkäufen fallen, sprang über das niedrige Geländer von der Haustür weg und rannte zurück auf die Straße. Er wollte einen Bogen schlagen, um auf diese Weise an den beiden anderen Männern vorbei zu kommen, doch der Dünne hob seine Pistole und richtete sie auf Ben. „Lass das mal schön bleiben, Freundchen!“, sagte er leise, aber deutlich vernehmbar. Ben hörte ein leises Klacken. Er blieb stehen.
    „Wehe, du versuchst uns auszutricksen, du Bastard!“, fügte der Kräftige hinzu. Er warf seinem Begleiter einen triumphierenden Blick zu. Der Mann im Ledermantel hatte Ben in wenigen Augenblicken eingeholt und hielt ihm das Messer an die Kehle.
    Ben spürte das spitze Metall an seinem Hals und die Vibrationen, die von der Waffe ausgingen. Sie wirkten wie leichte Stromschläge. Hilflos wich er vor dem Messer zurück, Schritt für Schritt, bis er mit dem Rücken gegen eine kalte Mauer prallte. Weiter kam er nicht.
    Der Kräftige hatte eine Taschenlampe eingeschaltet und ließ sie wie einen
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