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Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut

Titel: Goetheglut: Der zweite Fall für Hendrik Wilmut
Autoren: Bernd Köstering
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lange her seit
der letzten Beerdigung, hoffentlich treffen wir uns bald mal wieder. Doch heute
hatte ich das Gefühl, dass wir uns zusammensetzen mussten , um über das Leben
und den Tod zu reden und uns zu wärmen. Mitten im August. Ist der Tod wirklich nichts
Endgültiges?
    Zunächst ging ich kurz zu Siggi,
Ella, Benno und Sophie. Sie unterhielten sich gerade über Herrn Büchler und die
Frage, ob ein Leben als Alzheimerpatient eigentlich noch lebenswert sei. Sophie,
die als Ärztin im Weimarer Krankenhaus arbeitete, meinte, diese Frage könnten selbst
hoch spezialisierte Wissenschaftler nicht beantworten. Benno brachte die These auf,
dass Hannas Vater im Tod vielleicht mehr Freiheit vergönnt war als in seinem Alzheimerleben.
Aber auch das konnte niemand bestätigen oder widerlegen.
    Das Thema Tod führte uns zu dem
Leichenfund an der Denstedter Mühle. Der leblose Körper war mit dem Wasser der Ilm
aus Richtung Weimar angeschwemmt und im Sicherheitsgitter direkt vor der Wasserturbine
eingeklemmt worden. Der Müller hatte den Toten am Samstag frühmorgens entdeckt –
kein schöner Anblick. Bisher sah alles nach Selbstmord oder einem Unfall aus. Die
Obduktion hatte jedenfalls keine Hinweise auf Fremdeinwirkung erbracht. Doch Siggi
traute diesen Fakten nicht. Sein Spürsinn sagte etwas anderes. Und er hatte viel
Erfahrung, fast zehn Jahre beim BKA in Wiesbaden und acht Jahre am Polizeipräsidium
Weimar, davon inzwischen drei Jahre als Leiter des Kommissariats 1, das sich mit
Straftaten gegen Leib und Leben befasste. Siggi war ein drahtiger, gebräunter Typ
mit einem nicht zu überhörenden hessischen Dialekt. Seine Freundin Ella war deutlich
jünger als er, sie arbeitete im Archiv des Polizeipräsidiums und fieberte immer
mit, wenn Siggi einen großen Fall zu lösen hatte.
    Nach einer Tasse Kaffee verabschiedeten
sich die vier. Sophie hatte Spätdienst im Krankenhaus, Benno musste zu einer Sitzung
des städtischen Kulturausschusses, und auf den Hauptkommissar warteten weitere Ermittlungen.
Als die anderen schon an der Tür waren, drehte Siggi sich noch einmal um und fragte
mich leise, ob er Hanna und ihrer Mutter kondolieren könne, er hätte am Grab keine
Gelegenheit dazu gehabt. Ich nickte und begleitete ihn an den Nachbartisch. Siggi
umarmte Hanna, gab ihrer Mutter die Hand und legte seine Linke auf ihre. Er sagte
nichts. Als er ging, schienen seine Augen feucht und sein Kopf gerötet.
    Wir waren etwa 20 Personen und saßen
an zwei Tischen in der Mitte des Cafés, das an diesem normalen Montagmittag ansonsten
leer war. Zum Glück gab es keinen Alkohol, nur Kaffee und Streuselkuchen. Ich setzte
mich zu Hanna und legte den Arm um sie. Frau Büchler kauerte zusammengesunken neben
ihr und stocherte in einem Stück Kuchen herum. Die schwarze Kleidung und ihr fahles
Gesicht verliehen ihr einen alten, beinahe gebrechlichen Eindruck. Nach fast zehn
Jahren an der Seite eines Alzheimerkranken war von ihrer sehr aktiven und politisch
engagierten Art nicht mehr viel übrig geblieben. Hanna und ich hofften inständig,
dass sie sich nach einer gewissen Zeit der Aufarbeitung und Erholung wieder aufrichten
konnte.
    Es war gerade ziemlich ruhig in
dem Café, als die Tür aufgestoßen wurde. Eine klein gewachsene, schlanke Frau um
die 50 erschien in der Tür, blonde Haare, so blond wie Hannas Haar, aber kurz geschnitten.
Die knöcherne Hand der Frau lag immer noch auf dem Türgriff. Sie schaute sich prüfend
im Raum um, bis ihr Blick den von Frau Büchler traf. Langsam stand diese auf. Ihr
Rücken straffte sich. Ihr blasses Gesicht unter dem schwarzen Hut bekam eine strenge
Note, die ich noch nie bei ihr gesehen hatte.
    »Du kommst spät!«, stellte sie fest.
    Hanna wurde blass. Ich sah sie fragend
an. Keiner sagte etwas. Endlich beugte sich Hanna langsam zu mir herüber und flüsterte:
»Das ist meine Schwester.«
    Ich wusste, dass ich jetzt nichts
sagen durfte. Die Worte klebten mir am Gaumen, Fragen formten sich zu einem Kloß
in meinem Hals. Ich kannte Hanna seit unserer Jugendzeit, seit Mitte der 60er-Jahre.
Zuerst war ich der ›Westbesuch‹ aus Offenbach, dann ein Freund, später mehr als
das. Schließlich kam meine Abiturzeit, Lernen in den Sommerferien, danach die Bundeswehr
– ein Bruch. Viele Jahre hatten wir uns nicht wiedergesehen. Bis wir dann vor sechs
Jahren ein Paar wurden, seit dem JWG-Fall, der uns ironischerweise zusammengeführt
hatte. Aber ich hatte bislang nie gehört, dass sie eine Schwester hatte.
    Die
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