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Goethe

Goethe

Titel: Goethe
Autoren: Albert von Trentini
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falsch gemacht!« wandte er sich eckig zurück an den schweigenden Goethe. »In diesem Nest – wenn man schon drinnen leben muß – kann man nur existieren, wenn man den kräftigsten Teil seines Ichs draußen lebt!« Die Schultern gingen hastig empor, zu Fäusten ballte er die Hände. Es gab Stunden, in denen er peinlich deutlich erkannte, daß seine Art zu leben dem Ruf seines Gewissens nicht entsprach. Aber nach jeder solchen Stunde entdeckte der Geist, der sich nicht leicht ein X für ein U vormachen ließ, noch viel deutlicher das: daß er ohne diese Art Selbsthilfe in diesem Nest, das sich für Bethlehem hielt, zum Krüppel verwachsen oder zum Tier sich zurückentwickeln müßte. »Sieh mich an! Ich habe mich darnach gerichtet. Ich esse und trinke und schlafe und regiere in Weimar, – aber, was dabei nicht aufgezehrt wird an Person und Natur, geht« – fanatisch: »hinaus! Oder soll ich mich erwürgen lassen? Und du schiltst mich albern, wenn ich noch immer meine Spässe haben muß? Die mich doch retten! Warum kann ich denn existieren hier? Pfeifen auf die ganze Banauserei? Weil ich frei bin von Weimar, mitten drinnen in Weimar! Du aber erlaubst dir nicht den geringsten Seitensprung. Spinnst dich hier ein, als ob zwischen Schweinemarkt und Ilm das einzig mögliche Zentrum deiner ganzen Person läge. Da bläst man dann freilich Trübsal!«
    Aber Goethe, nun starr an die Hauswand gelehnt, in einer Woge von Schmalzgeruch, der niederträchtig erdlich aus der Küche im ersten Stockwerk herabströmte, schwieg hartnäckig weiter.
    Mühsam beherrschte sich Karl August noch eine Weile. Endlich, als der Mann da, der ihn kannte wie seine Tasche, scheinbar immer absichtlicher so tat, als habe er nicht lange schon erraten, wo seinen Herrn der Schuh drückte, platzte er ganz einfach los. »Wenn du morgen schon nicht mit mir gehst, – gehe wenigstens im Laufe des Tages zu Louise hinauf!«
    Im Augenblick, höhnisch, lächelte Goethe. Aha! Hurtig stand er von der Bank auf. »Was für Aussichten gibt Professor Stein?«
    »Es kann in einer Stunde sein, und kann auch erst in drei Wochen sein. Die Kerle wissen ja nichts!«
    »Also kann es auch morgen sein?«
    Heiß flammte das passionierte Auge auf. »Ich warte seit vier Wochen wie eine geprüfte Hebamme, mein Lieber! Du willst ins Karlsbad und bist auch schon ungeduldig! Aber von einem Tag auf den anderen um den Bau da herumtrippeln und auf einen Prinzen warten, der entweder mit Lebensgefahr seiner Mutter kommt, oder eben nicht kommt . . .« Mit sehniger Hand riß er an der goldgestickten Krause, die glitzernd über den Frackrevers herabrann. »Ich kann nicht mehr! Ich muß hinaus, und wenn es nur für ein paar Stunden wäre. Denn wenn dann die Chose anhebt, vergehen ja doch leicht wieder vierzehn Tage, bevor ich ausbrechen darf. Ludwig von Braunschweig kommt schon übermorgen!«
    Fest nahm Goethe den Hut unter den Arm, hob den Degen um einen Zoll. »Vielleicht melden Sie mich für morgen zwölf Uhr bei der Frau Herzogin an? Ich laufe sonst Gefahr, verwundert – oder auch gar nicht empfangen zu werden.«
    » Du bist es doch, der nie kommt!«
    Gewandt schob sich Goethe auf des Herzogs linke Seite und strebte nach dem Flur hin. »Offen gestanden bin ich schon seit langem in Verlegenheit um das Motiv, mit dem ich Ihrer Durchlaucht meine Aufwartung legitimieren soll.«
    Karl August ließ Goethes Arm fallen. Groß, weit, aber auch schuldbewußt tauchte das sprühende Auge in das strengbeherrscht kühle.
    Endlich, traurig, sagte er: »Es hat sich vieles verändert.«
    »Gewiß! Aber nicht meine Ergebenheit für Sie und Ihr Haus!«
    Dennoch! Zaghaft nur streifte der getröstete Blick Karl Augusts die gemessene Miene, zu der sich das dionysische Jünglingsgesicht in elf Jahren verwandelt hatte. Ja! Er liebte diesen Mann gleich wie früher. Und umgekehrt. Aber die Kluft, die der Rausch des Sturmes und Dranges nicht gesehen, der feste Wille zu immer vollerer Verschmelzung zweier Herrennaturen übermütig geleugnet hatte, – jetzt war sie nicht mehr zu überbrücken. Am wenigsten mit Worten. »Sie hat dich gern«, sagte er sanft; die Hilflosigkeit über die Wehmut dieser Erkenntnis bebte in seiner Stimme. »Und sie geht zugrunde in ihrer Umgebung. Ich . . .« – eng an Goethe gelehnt, schritt er im trostlosen Angesicht der regenrauschenden Gasse den Flur durch – »finde mich mit ihr nicht. Das weiß du ja. Und sie ist jetzt, natürlich, doppelt empfindsam! Sie bedarf eines
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