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Gößling, Andreas

Gößling, Andreas

Titel: Gößling, Andreas
Autoren: Tzapalil - Im Bann des Jaguars
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über mit Maispflanzen behängt. Skulpturen und Gemälde des Maisgottes, wo immer man hinschaute. Von allen Seiten starrte Carmen das finstere Gesicht mit den schrägen Augen und lüsternen Lippen entgegen.
    Und mit der absurden Maispflanze, die ihm direkt aus dem Scheitel wuchs. Aber von Pedro war weit und breit nichts zu sehen.
    In der Mitte des Daches führten anscheinend weitere Stufen hinauf, zu einer Art steinerner Empore. Mengen gelb gewandeter Leute standen überall herum, sodass Carmen nicht sehen konnte, was sich da oben vielleicht noch befand. Wo um Himmels willen war Pedro?
    Und mussten nicht Maria und Xavier auch längst hier sein?
    Ein riesiger Mann im maisgelben Gewand trat auf sie zu. Er packte sie einfach wie eine Katze im Nacken und schleppte sie quer über das Dach. Die Leute wichen zur Seite und machten ihnen eine Gasse frei. Jetzt erkannte Carmen auch, was sich auf der Empore befand. Es war ein steinerner Maiskolben von monströser Größe, zwei Meter oder mehr. Zottige Fasern hingen an dem Ding herunter, die wohl die Blätter und Fasern an wirklichen Maiskolben darstellen sollten. Aufrecht stand das Riesentrumm in einer steinernen Mulde und funkelte in der Mittagssonne wie eine Säule aus reinem Gold.
    Auf der Stufe darunter hockten Maria, Pedro und sein Vater, an Händen und Füßen gefesselt. Carmen fiel neben ihnen auf den Boden und blieb stöhnend liegen, wie der Priester sie hingeschmissen hatte. Genau in diesem Moment flog wieder ein Flugzeug über ihnen durch den Himmel. Maria deutete mit dem Kopf zum Lianendach hinauf und – nein, gar nichts. Carmen hatte ganz automatisch erwartet, dass sie eine Augenbraue heben würde, genau wie früher. Aber Marias Gesicht war völlig starr, als ob sie in Stein verwandelt worden wäre. Sie sah Carmen nur an, ohne ein Wort, ohne ein Lächeln, ohne irgendwas.
    Carmen sah von ihr weg und schaute erst Pedro an, dann seinen Vater. Die beiden schienen genauso von dieser seltsamen Lähmung befallen. Pedro starrte sie aus riesengroßen Augen an. Sein Vater hockte einfach nur da, mit hängendem Kopf, und schien sich um gar nichts mehr zu kümmern. Hey, was ist denn los mit euch?
    Wieder bewegte Maria fast unmerklich ihren Kopf und deutete auf die riesige Maiskolbensäule hinter ihnen. Carmen folgte ihr mit dem Blick. Ach du lieber Gott, dachte sie und das Herz blieb ihr wahrhaftig für einen kurzen Moment stehen. Auf einmal verstand sie, warum Maria, Xavier und Pedro wie Steinfiguren vor ihr hockten. Sie starrte zur Maissäule hinauf und wünschte sich wie nichts anderes, dass ihr Körper aus superhartem Stein wäre. Unverletzbar und außer Stande, zu bluten oder Schmerzen zu spüren.
    Die zottigen Fasern an der Säule waren ganz einfach Seile, dazu gedacht, Leute festzubinden. Die riesigen Maiskörner sahen aus wie hunderttausend vorgequollene Augäpfel. Und jede dieser funkelnd gelben Kugeln lief ganz vorn in einen messerspitzen, fingerlangen Dorn aus.

18
     
    Tanzend und singend bewegten sich die Priester um sie herum im Kreis. Sie hatten Carmen und Maria, Pedro und Xavier auf die vier Ecken der Mulde verteilt, in deren Mitte die Maissäule stand. Dazwischen hatten sie Unmengen von Opfersachen ausgebreitet: Becher voll Kakao und Schalen mit brennendem Copal. Gebratene Hühner, duftende Blumen und seltsame kleine Lumpenpuppen mit Kirschkernaugen, die wie Voodoopüppchen aussahen. Und vor allem natürlich stapelweise Mais. Sie tanzten und sangen und riefen Beschwörungen ihres Gottes und die Menge unten auf dem Platz hörte ihnen schweigend zu. Auch die Trommeln und Flöten hatten wieder eingesetzt, ganz leise nur, sodass fast nur der Gesang der Priester zu hören war.
    So ging das schon seit mindestens einer Stunde. Vielleicht auch schon länger? Ein buntes Durcheinander von mais-und sonnengelb, mondsilbern und regengrau gewandeten Priesterinnen und Priestern, die in Wellenbewegungen um sie herumliefen, unablässig tanzten, sangen, Anrufungen murmelten. Allmählich verlor sich Carmens Zeitgefühl. An Händen und Füßen zusammengeschnürt, hockte sie auf dem harten Steinrand der Mulde und musste sich anstrengen, damit sie nicht einschlief. Dieses taube Gefühl in ihrem Kopf kam bestimmt auch von den Dämpfen, die um sie herum aufstiegen. Immer wieder kniete sich einer der Tanzenden blitzschnell zwischen ihnen hin und zündete eine Opfergabe an. Einen Copál-Klumpen, ein paar getrocknete Zweige, eine Schale mit seltsamen Krümeln. Oder auch eines der
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