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Göring: Eine Karriere (German Edition)

Göring: Eine Karriere (German Edition)

Titel: Göring: Eine Karriere (German Edition)
Autoren: Guido Knopp
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Kopfhörer hörte er, wie der Dolmetscher übersetzte, was der amerikanische Sprecher beschrieb: »In diesem Konzentrationslager bei Leipzig wurden über 200 politische Gefangene bei lebendigem Leib verbrannt. Andere der ursprünglich 350 Gefangenen wurden erschossen, als sie aus den Baracken stürzten. …« Eine Stunde lang dokumentierte der offizielle Tatsachenfilm der amerikanischen Anklage die Verbrechen in den Konzentrationslagern. Am Abend klagte Göring in seiner Zelle: »Es war so ein angenehmer Nachmittag. Mein Telefongespräch über die Österreich-Affäre wurde vorgelesen, und alle lachten mit mir darüber. Und dann kam dieser grauenhafte Film und verdarb einfach alles.«
    Als man ihnen die Filme aus den Konzentrationslagern gezeigt hatte, wollte niemand ein Nazi gewesen sein. Sie sagten: Nein, das gibt’s nicht, das ist nicht wahr, das sind Opfer der Amis, die haben diese Leute erschossen und hingelegt. Der Führer hätte so etwas nie geduldet.
    Lion »Le« Tanson, Dolmetscher in Bad Mondorf
     
    Kein einziges Mal zeigte er Betroffenheit oder Bedauern, als ihm Schriftstück um Schriftstück vorgelegt wurde, um seine Verwicklung in den Holokaust und die rücksichtslose Ausplünderung der besetzten Gebiete zu belegen. »Der Sieger«, notierte er auf die Anklageschrift, »wird immer der Richter und der Besiegte stets der Angeklagte sein.« Als SS-General Erich von dem Bach-Zelewski den Massenmord offen als solchen benannte, kannte Görings Wut keine Grenzen: »Wahrhaftig, dies dreckige, verfluchte Verräterschwein! Dieser gemeine Schuft! Herrgott, verflucht noch mal. Donnerwetter, der dreckige, hohlköpfige Hundesohn. Er war der verruchteste Mörder in dem ganzen verfluchten Verein. Der widerliche, stinkende Schweinehund! Verkauft seine Seele, um seinen dreckigen Hals zu retten!« Als eine Zeugin schilderte, was sie in Auschwitz erlitten hatte, nahm Göring demonstrativ den Kopfhörer ab. »Je höher man gestellt ist«, dozierte er in einer Befragung durch Dönitz’ Anwalt Otto Kranzbühler, »desto weniger sieht man von dem, was sich unten abspielt.«
     
    Kühle Berechnung legte der Machtmensch Göring auch im Umgang mit seinen Mitgefangenen an den Tag. Was ihm vorschwebte, war eine geschlossene Front unter seiner Führung. »Während der Mittagspausen erzählte er [seinen Mitgefangenen] immer, wie sie sich zu benehmen hätten und was sie während des Prozesses sagen sollten«, bemerkte William Jackson, Sohn und Assistent des amerikanischen Chefanklägers in Nürnberg. »Auf einige der Angeklagten – Ribbentrop, Sauckel, Streicher – hat er sicher Einfluss ausgeübt. Andere – Schacht, Speer und Frank – waren seine Gegner und wollten lieber eigenständig ihre Verteidigung organisieren.« Voller Zorn schimpfte er über Albert Speer und dessen Behauptung, er habe versucht, Hitler aus Gewissensgründen umzubringen: »Gott im Himmel, ich wäre vor Scham fast gestorben. Nicht zu fassen, dass ein Deutscher so gemein sein kann, um sein armseliges Leben zu verlängern. … Herrgott! Donnerwetter! Was mich betrifft, mir ist es egal, ob ich hingerichtet werde, … aber es gibt doch noch so etwas wie eine Ehre.« Schließlich trieb er seine Manipulationsversuche so weit, dass er im Februar 1946 von seinen Mitgefangenen getrennt wurde und allein zu Mittag essen musste.

     
    Oben: »Göring ist der Mann, der das Verfahren beherrscht«: Der ehemalige Reichsmarschall stach aus der Riege der Angeklagten hervor (hier mit Dönitz und Heß)
    Unten: »Drang zur Selbstrechtfertigung«: Göring mit seinem Verteidiger Dr. Otto Stahmer im Nürnberger Gefängnis
    In seinem Drang zur Selbstrechtfertigung kannte Göring keinerlei Berührungsängste. Über seinen Verteidiger Dr. Stahmer lud er den Sonderberichterstatter Ernst Michel zu einem Gespräch in seine Zelle ein. In einem von Michel geschriebenen Zeitungsartikel hatte Göring gelesen, dass dieser als jüdischer Häftling in Auschwitz gewesen war. Göring würde ihn gerne treffen, ob er daran interessiert sei, fragte Stahmer den völlig Überraschten. Göring treffen? Seine ganze Familie hatte der aus Mannheim stammende Michel in den Vernichtungslagern verloren, er selbst war nur durch Glück dem Tod in Auschwitz entkommen. Nach einigem Zögern nahm er dennoch das Angebot an. Er sei in Nürnberg als Reporter, redete Michel sich auf dem Weg ins Gefängnis zu, persönliche Betroffenheit dürfe ihn nicht beeinflussen. Als er mit Stahmer Görings Zelle betrat, stand
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