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Gnadenthal

Gnadenthal

Titel: Gnadenthal
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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Telefon an zu klingeln, also war es tatsächlich heute freigeschaltet worden. Er beachtete es nicht. Die Stereoanlage musste noch angeschlossen werden, und wenn morgen der neue Schreibtisch geliefert worden war, konnte er endlich seinen Computer wieder einrichten.
    Er wusste nicht mehr, warum er sich auf diese Ehe eingelassen hatte. Sicher, es hatte ihm gefallen, dass Monika von Anfang an klargemacht hatte, dass sie keine Kinder wollte, vielleicht hatte das den Ausschlag gegeben. Mit ihr war er auf der sicheren Seite gewesen. Er hatte sich nie nach einer Familie gesehnt, er war glücklich gewesen, als er endlich zu Hause ausgezogen war und seine Ruhe gehabt hatte. Dabei war er beileibe kein Eigenbrötler, er hatte gern Freunde um sich, die seine Interessen teilten, mit denen er sich austauschen konnte. Aber was hatte er in dieser Ehe zu finden gehofft? Romantische Gefühle hatten doch nie eine Rolle gespielt.
    Mit dem Fuß schob er die Regalverpackung aus dem Weg und ging in die Küche. Die Flasche Merlot, die er gestern geöffnet hatte, war noch halb voll. Er nahm ein Wasserglas vom Abtropfbrett und goss ein. «Weingläser», notierte er im Geist.
    Endlich gab der Anrufer auf. Wahrscheinlich war es sowieso nur Hansjörg gewesen, der noch einmal, ganz beiläufig natürlich, versuchen wollte, vor den anderen an seine Texte zu kommen, um – wie hatte er es diesmal ausgedrückt? – ein «paar Rollenkonzepte zu machen». Lächerlicher Versuch! Und wie er auf die «Klausurtagung» angesprungen war, als hätte Frieder den Stein der Weisen entdeckt. In den dreißig Jahren hatten sie immer zwölf bis vierzehn Tage gebraucht, bis ein neues Programm stand, nur dass sie sonst zwei Termine dafür angesetzt hatten.
    Er leerte sein Glas und schaute auf die Uhr, erst kurz nach zehn. Noch nicht zu spät, sich mit dem Rest Wein an den Küchentisch zu setzen und letzte Hand an die Texte zu legen.
    Das Telefon klingelte wieder. Vielleicht war es ja Dagmar.
     
    Dagmar Henkel legte kopfschüttelnd den Hörer auf und ging hinüber ins Arbeitszimmer ihres Mannes. «Das war Hansjörg. Er hat einen Riesentanz veranstaltet, weil er nicht Bescheid wusste wegen der Herbstferien.»
    Rüdiger brummte etwas, schaute aber nicht von seiner Zeitung auf.
    Sie schmunzelte. «Außerdem hat er versucht, mir vorab schon meine Texte abzuschwatzen. Will sich wohl wieder die besten Rollen unter den Nagel reißen, der Blödmann. Er hat sich echt ins Zeug gelegt.»
    «Sag mal», er sprach betont ruhig, «siehst du eigentlich nicht, dass ich dabei bin, den ‹Spiegel› durchzuarbeiten?»
    Dagmar spürte, wie ihr heiß wurde. Sie setzte zu einer Erwiderung an, biss sich aber auf die Lippen und ging hinüber in die Küche, den einzigen Raum im Haus, in dem es richtig warm war.
    Rüdiger hatte diesen riesigen alten Kasten von seinem Großvater geerbt, und sie waren gleich nach ihrer Heirat hier eingezogen. Damals hatten sie noch beide von einer Großfamilie geträumt, und die kleinen Schönheitsfehler am Haus hatten sie nicht gestört, die würde man nach und nach beheben, Hauptsache, es gab genügend Platz. Mit den Jahren hatten sich die kleinen Fehler zu großen Problemen ausgewachsen. Das Haus war zugig, viel zu groß, und die ungenutzten Räume verfielen mehr und mehr. Es brauchte dringend ein neues Dach, eine neue Isolierung, neue Elektroleitungen und vor allem eine neue Heizungsanlage.
    Damit es unten einigermaßen warm war, hatten sie schon vor längerer Zeit aufgehört, das Obergeschoss zu heizen. Sie hatte ihr Arbeitszimmer aufgeben müssen und schrieb ihre Texte seitdem am Küchentisch.
    Eine Sanierung würde Unsummen kosten, mehr, als sie aus dem Stand aufbringen konnten. Dagmar hätte das Mausoleum am liebsten verkauft, je eher, desto besser. Wozu brauchten sie noch ein ganzes Haus, eine Eigentumswohnung würde ihnen doch reichen, eine warme Wohnung ohne Stockflecken an der Badezimmerdecke, ohne feuchte Wände, von denen sich die Tapeten lösten, ohne Mausefallen.
    Aber Rüdiger sperrte sich gegen den Verkauf, manchmal auf die sentimentale Art – dies sei schließlich sein Familienerbe, hier habe er seine Kindheit verbracht –, meist aber mit dem Argument, in diesem baulichen Zustand würde das Haus nicht den Preis erzielen, den ein Anwesen in dieser Lage normalerweise bringen würde. Seit Jahren kam das Thema immer wieder auf den Tisch, und seit Jahren drehten sie sich im Kreis.
    Dagmar breitete eine alte Zeitung auf der Arbeitsplatte aus, nahm
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