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Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Gnadenlose Gedanken (German Edition)

Titel: Gnadenlose Gedanken (German Edition)
Autoren: Peter Wagner
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ganz besonderen Lebens
saft
zu kosten?“

    Ich hätte gar nicht einige Wörter so genau betonen müssen. Der Schock saß auch ohne diese Unterstreichungen tief genug.

    Er sprang von seinem Stuhl auf, und eilte in Richtung Wohnungstür. Dabei stammelte er etwas von „arme, verlorene Seele“, dann war er auch schon verschwunden. Scheinbar hatte ich ihn an seinem wunden Punkt getroffen. Seine Achillesferse baumelte ihm zwischen den Beinen, wenn sie nicht gerade stand wie eine Kerze am Altar.

3

    Als Manfred kurze Zeit später von seinen Besorgungen zurückkam, lächelte ich ihn an.
    „Das Gespräch mit Pfarrer Hofgang scheint dir ja richtig gutgetan zu haben. Manchmal können diese Kirchenleute wirklich wahre Wunder bewirken!“, sagte er und legte die Einkaufstasche vorsichtig auf den Küchentisch.

    „Ja, tatsächlich“, erwiderte ich.
    „Manchmal geschehen
wirklich
Wunder. Das Gespräch war wirklich sehr aufschlussreich für mich. Ich denke, ich fahre jetzt in mein Zimmer, um ein wenig alleine zu sein. Wenn du nichts dagegen hast, lasse ich dich beim Kochen im Stich. Ich würde das Essen sowieso nur versauen. Du kennst ja meine Kochkünste.“

    „Ach, du unterschätzt dich immer so, Robert. Du müsstest es nur einmal richtig ausprobieren. Aber ich kann es verstehen, wenn du ein bisschen deine Ruhe haben willst. Ist ja ne Menge passiert, heute Vormittag. Erst deine erste Solofahrt, und dann das Gespräch mit Pfarrer Hofgang. Ich kann sehr gut nachempfinden, dass du das erst einmal verarbeiten musst. Ich sag dir Bescheid, wenn das Essen fertig ist.“

    Ach ja, mein verständnisvoller Pfleger. Aber ich musste wirklich die Geschehnisse des Vormittages überdenken. Es kam ja nicht so oft vor, dass man seine übersinnlichen Fähigkeiten entdeckte. Oder dass man feststellen musste, dass man plötzlich wahnsinnig geworden war. Um das herauszufinden, rollte ich in mein Zimmer.

    Es war seit dem Unfall nur unwesentlich verändert worden. Lediglich die Pokale und Medaillen waren entfernt worden. Dies hatte meine Mutter für mich erledigt, als meine Entlassung aus der Reha-Klinik bevorgestanden hatte. Unter Tränen und leisem Protest hatte sie meinen Wunsch akzeptiert, und hatte diese Erinnerungen meiner kurzen Sportlerkarriere in den Keller verschwinden lassen. Ich hatte Angst davor gehabt, sie mir bei meiner Ankunft ansehen zu müssen. Ich wollte nicht an meine zerplatzten Träume erinnert werden. Alles hatte ich ertragen können, aber nicht diese Enttäuschung. Wenn dir dein (sehr kritischer) Trainer einmal gesagt hat, du hast das Zeug dazu, ein zweiter Michael Groß zu werden, dann leckst du Blut. Dann stellst du alle anderen Dinge deines Lebens in den Hintergrund. Du wirst ein absoluter Egoist. Du hast nur ein Ziel, du willst der Schnellste sein. Dafür vergisst du deine Familie, deine Freunde, deine Schule.
    In dieser Zeit schaffte ich es, innerhalb von knapp sechs Monaten meine Zeit über 200 Meter Freistil achtmal zu verbessern. Eigentlich war das gar nicht möglich. Meine Vereinskameraden glaubten schon an Doping, obwohl sie es natürlich nie laut ausgesprochen hätten. Aber ihre neidischen Blicke verrieten es mir.
    Sogar mein Trainer versuchte mich zu bremsen, er riet mir, das Trainingsprogramm zu reduzieren. Ich sollte mal wieder mit einem hübschen Mädchen ausgehen, sonst würden mir noch Kiemen an meinem Sack wachsen. Doch ich verkniff mir sogar das Onanieren, um nicht unnötig meine Körper zu schwächen. Lieber schwamm ich zehn Bahnen mehr.
    In dieser Zeit sammelte ich Pokale, wie ein Penner Pfandflaschen. Sie waren meine Bestätigung. Die Bestätigung dafür, dass ich alles erreichen konnte, wenn ich nur hart genug dafür arbeitete. Und ich arbeitete sehr hart. Wenn ich abends meine Hanteln stemmte, dann sah ich mir die Pokale an, und ich konnte es kaum abwarten, den nächsten zu gewinnen. Es war eine schöne Zeit.
    Obwohl ich jede freie Minute im Wasser verbrachte, schaffte ich mein Abitur. Und danach sollte es erst richtig losgehen. Bisher hatte ich nur Wettbewerbe gegen durchschnittliche Konkurrenten gewonnen. Es war an der Zeit, mich international zu messen. Es war an der Zeit Rekorde zu brechen.
    Doch der erste und letzte Rekord, den ich brach, war der im Dämlichsein. In der Sekunde, in der ich von der Brücke sprang, vernichtete ich das Leben eines Sportlers und gebar einen Krüppel. Den einzigen Rekord, den ich jetzt noch brechen konnte, war der im Windelvollpissen.
    Nein, den Anblick meiner
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