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Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Lisa Unger
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aber nicht zugeben wollte.
    »Warum? Du bietest wertvolle Dienste an, für die die Leute nur zu gern bezahlen würden«, sagte sie. »Denk mal drüber nach.«
    Aber Jones erledigte die Gefälligkeiten gern und wollte gar nicht dafür bezahlt werden. Es war schön, gebraucht zu werden und sich um die Nachbarschaft zu kümmern, dafür zu sorgen, dass alles in Ordnung war. Seine Berufung konnte man nicht einfach so mit der Dienstmarke abgeben. Außerdem war er eigentlich gar nicht im Ruhestand, oder? Er hatte seinen Job nur aufgegeben, weil er es angesichts der Umstände für notwendig gehalten hatte. Aber das war eine andere Geschichte.
    Am späten Vormittag war die Temperatur auf angenehme zwanzig Grad geklettert. Das Sonnenlicht vergoldete alles, die Luft duftete nach geharktem Laub, und von irgendwoher roch es nach Kaminfeuer. In der Einfahrt stand Rickys restaurierter Pontiac GTO Baujahr 1966, den er nur am Wochenende benutzte, wenn er zu Hause war. Jones hatte den Wagen inspiziert und poliert.
    Jones vermisste seinen Sohn. Leider war ihr Verhältnis in den letzten Jahren vor allem von Streit geprägt gewesen. Dennoch konnte er es nicht erwarten, den Jungen wieder im Haus zu haben, und sei es nur für vier Tage. Hätte ihm jemand vorhergesagt, wie schmerzlich er sein Kind vermissen würde, wie schwer es ihm fallen würde, an dem leeren Kinderzimmer vorbeizugehen – Jones hätte kein Wort geglaubt. Er hätte es für eine der zahlreichen Plattitüden zum Thema Elternschaft gehalten.
    Er lehnte den Rechen an den Stamm der Eiche und zog sich die Handschuhe aus. Zwei Trauertauben gurrten betrübt vor sich hin. Sie saßen auf dem Verandageländer und plusterten das gelbbraune Gefieder auf.
    »Tut mir leid«, sagte Jones, und das nicht zum ersten Mal. Früh am Morgen hatte er ihren Nestbau gestört und einen losen Haufen aus Zweigen und Papierresten entfernt, den sie in den Öffnungsmechanismus des Garagentors gestopft hatten. Trauertauben bauen provisorische Brutstätten und sind so faul, dass sie die verlassenen Nester anderer Vögel in Besitz nehmen. Die Garage musste ihnen als idealer Nistplatz erschienen sein, weil sie dort vor Räubern geschützt waren. Aber Jones duldete keine Vögel in seiner Garage. Vögel waren Vorboten des Todes, das wusste jeder. Nun lungerten sie auf dem Grundstück herum und machten ihm ein schlechtes Gewissen.
    »Ihr könnt euer Nest bauen, wo ihr wollt«, rief er und machte eine weit ausholende Armbewegung, »nur nicht hier.«
    Offenbar hörten sie zu und verdrehten den Hals, während er sprach. Dann flatterten sie mit einem wütenden Tschilpen davon.
    »Blöde Vögel.«
    Jones wischte sich mit dem Unterarm über die Stirn. Obwohl es nicht besonders warm war, hatte ihn die Gartenarbeit ins Schwitzen gebracht, was ihn daran erinnerte, dass sein Hausarzt ihn seit Jahren bekniete, zwölf Kilo abzunehmen. Sein Arzt, ein beneidenswert schlanker und attraktiver Mann im selben Alter, ließ keine Gelegenheit aus, Jones’ Übergewicht zu erwähnen, egal aus welchem Grund er ihn aufsuchte. Auch Sie werden sterben, Doc, wollte Jones ihm immer sagen. Vermutlich kratzen Sie beim Sport ab. Wie viele Kilometer reißen Sie täglich runter – sieben, acht? Und am Wochenende noch mehr? Das wird Sie früh ins Grab bringen. Aber dann begnügte er sich damit, den Arzt darauf hinzuweisen, dass sein Bauchspeck ihm im letzten Jahr das Leben gerettet hatte.
    »Das ist kein Argument«, sagte Dr. Gauze. »Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie einen zweiten Bauchschuss abkriegen? Besonders jetzt, da Sie auf dem Altenteil sitzen?«
    Auf dem Altenteil? Jones war erst siebenundvierzig! Er stand im Garten und war immer noch dabei, über das Wort Altenteil nachzugrübeln, als ein beigefarbener Toyota Camry vor dem Haus hielt. Obwohl Jones angestrengt hinschaute, konnte er den Fahrer nicht erkennen. Dann öffnete sich die Tür, und eine zierliche Frau stieg aus dem Wagen. Jones kannte sie, konnte sie aber nicht einordnen. Sie sah so ausgemergelt aus, als würde sie vor lauter Nervosität nicht mehr essen. Langsam wie eine Kranke schlich sie auf die Einfahrt zu, die Lederhandtasche fest unter den Arm geklemmt. Sie schien Jones auf dem Rasen nicht bemerkt zu haben. Tatsächlich ging sie geradewegs an ihm vorbei.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er schließlich. Erschreckt fuhr sie herum.
    »Jones Cooper?«, fragte sie und strich sich nervös mit der Hand über das grauschwarz melierte, zu einem unvorteilhaften Bob
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