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Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
Autoren: Lisa Unger
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Willow auf ihren Block, als Mr. Vance die Aufsätze über Ein anderer Frieden austeilte. Sie würdigte ihn kaum eines Blickes, als er den Aufsatz auf ihren Tisch legte. Natürlich eine Eins.
    »Gut gemacht, Miss Graves.« Sie hob den Kopf und sah, dass er sie wie früher anlächelte. Sie lächelte zurück. Auf einmal beugte er sich vor, tippte auf ihren Block und flüsterte: »So übel ist es doch gar nicht.«
    Den Rest der Stunde sprachen sie über die Aufsätze. Willow schwieg bis zum Schluss, als Mr. Vance sie ansah.
    »Willow hat einen ganz bemerkenswerten Aufsatz geschrieben«, sagte er. »Würdest du uns verraten, wie du über das Buch denkst? Du warst heute ungewöhnlich still.«
    Alle starrten sie an, so wie seit Tagen. Anscheinend wussten alle, dass sie von zu Hause abgehauen und in den Black River gefallen war und dass die Polizei sie herausgefischt hatte. Ihre Mitschüler glaubten, Michael Holt hätte sie verfolgt. (Eigentlich behauptete nur Jolie, ihn gesehen zu haben. Aus dem Grund habe sie gekreischt. Willow bezweifelte diese Version.) In Wahrheit hatten sie und Cole Jolie verfolgt, um sie aus dem Regen zu holen.
    Gerüchten zufolge hatte Michael Holt Willow den Mord an seiner Mutter gestanden. (Sie hatte ihn nicht mehr gesehen. Als Mr. Ivy und ihre Mutter sie zum Auto brachten, war er längst abgeholt worden.) Alle wussten jetzt, dass Willow ihn im Wald beim Graben überrascht hatte. Niemand verhöhnte sie mehr, niemand lachte sie aus, aus welchem Grund auch immer. Jeder wollte sich mit ihr unterhalten und alles über die Nacht im Wald erfahren. Willow erzählte ihnen bereitwillig davon. Endlich konnte sie mit einer Geschichte aufwarten, die gruselig und außergewöhnlich war und dennoch nicht gelogen.
    »Ich glaube, Gene hat Fin tatsächlich mit Absicht vom Baum geschubst«, sagte Willow. »Er hat den Ast zurückschnappen lassen.«
    »Aber sie waren Freunde – beste Freunde!«, gab Mr. Vance zu bedenken.
    »Das stimmt. Aber manchmal verletzen wir die Menschen, die wir am meisten lieben, und wir tun es, weil wir selbst verletzt sind«, sagte Willow. »Das muss nicht einmal etwas mit dem anderen zu tun haben. Manchmal fühlt man sich einfach hässlich und unglücklich. Und dann kommen all diese schlechten Gefühle hoch – Wut, Eifersucht, Trauer.«
    Mr. Vance starrte sie so fasziniert an, dass sie beinahe verstummt wäre. Alle starrten sie an.
    »Bitte, sprich weiter«, sagte Mr. Vance.
    »Und manchmal kann man nicht anders, als sich so zu fühlen. In dem Zustand sagt und tut man schreckliche Dinge. Dann fühlt man sich durch alles, was schön und froh und hell ist, persönlich angegriffen. Man will alles kaputthauen. Man will, dass die anderen denselben Schmerz fühlen. Deswegen verletzt man sie, obwohl man sie so liebt.«
    »Sehr aufschlussreich, Willow«, sagte Mr. Vance.
    Willow zuckte die Achseln.
    »Es ist nur ein Buch.« Als sie ihn ansah, lächelte er, obwohl er dabei seltsam traurig wirkte. Sie war selbst traurig. Sie hatte ihn verletzt und ihr ehemals freundschaftliches Verhältnis zerstört.
    »Das Leben schreibt diese Geschichten, Miss Graves«, sagte er. Er hatte das schon tausendmal gesagt, aber endlich verstand sie, was er meinte.
    Nach dem Unterricht wartete Cole im Flur auf sie. Er nahm ihr den Rucksack ab und begleitete sie zu ihrem Spind.
    »Wie war’s?«, fragte er.
    Sie hielt den Aufsatz in die Höhe.
    »Genie«, sagte er und beugte sich vor, um sie auf die Wange zu küssen. »Soll ich dich nach Hause fahren?«
    »Ich muss erst meine Mom fragen«, antwortete sie und verdrehte die Augen.
    »Ruf sie an«, sagte Cole, »ich warte.«
    »Wie war es bei dir?«, fragte sie.
    Er zuckte die Achseln, starrte auf seine Schuhe.
    »Okay.« Er redete nicht viel.
    Er war zum ersten Mal seit der Nacht im Wald wieder in der Schule. Seinen Vater hatte man wegen Veruntreuung oder so etwas in der Art verhaftet. Cole war wieder bei seiner Mutter. Die beiden waren bei seiner Stiefmutter und seinen Halbgeschwistern eingezogen – was Willow sehr merkwürdig fand. Sie stellte sich vor, wie sie und ihre Mom mit der Stripperin Brenda zusammenwohnten. Das wäre überhaupt nicht in Ordnung. Cole hingegen schien glücklich zu sein. Seine Mutter hatte kein Zuhause mehr, und er blieb gern in The Hollows, um bei Claire und Cameron zu sein – und bei Willow. Fürs Erste schien es okay. Und wenn seine Mutter einen Job gefunden hatte, würden sie sich eine eigene Wohnung suchen.
    »Cole will mich nach Hause
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