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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition)
Autoren: Steven Uhly
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Umschlag und den Kugelschreiber in die Lade der Schiebemulde und der Pförtner zieht sie zu sich.
    Er schaut sich den Umschlag an, dann nickt er Hans zu und sagt: »In Ordnung. Sie wird den Brief noch heute erhalten.«
    Hans bedankt sich noch einmal, dann verabschiedet er sich und verlässt endgültig die Justizvollzugsanstalt.
    Diesmal geht er ganz langsam zum Bahnhof. Er hat das Gefühl, im letzten Augenblick doch noch das Richtige getan zu haben. Er fühlt sich leicht, als ob er gar keine Sorgen hätte, und obwohl er weiß, dass das gar nicht stimmt, verschwindet das Gefühl der Leichtigkeit nicht. Als er am Bahnhof ankommt, muss er an einem Automaten einen neuen Fahrschein lösen. Dann begibt er sich wieder in den kleinen Wartesaal. Dort widmet er sich den Büchern, die in den drei Regalen stehen. Er stellt sich vor, dass Bewohner der Stadt sie gespendet haben, damit der Reisende ein wenig Kurzweil hat, während er wartet. Es sind ganz unterschiedliche Bücher, die meisten sind Romane. Wie soll man einen Roman lesen, wenn alle zwanzig Minuten ein Zug abfährt?, fragt Hans sich. Vielleicht muss man jeden Tag kurz nach der Abfahrt eines Zuges herkommen, damit man genügend Zeit hat, wenigstens ein wenig zu lesen. Oder man kommt hier an und setzt sich noch eine Weile in den Wartesaal zum Lesen, bevor man weitergeht. »Seltsam«, murmelt er. Er nimmt aufs Geratewohl ein Buch in die Hand und beginnt zu lesen. Es ist ein Roman, den Namen des Autors hat Hans noch nie gehört. Er hat gerade erst ein paar Seiten gelesen, als eine Frauenstimme aus dem Lautsprecher die Ankunft des Zuges ankündigt. Hans stellt das Buch zurück und begibt sich auf den Bahnsteig. Dann fährt er zurück.
    Als Hans zu Hause ankommt, ist er sehr müde. Anstatt direkt zu den Tarsis zu gehen und Felizia zu holen, stellt er seinen Wecker und schläft eine halbe Stunde. Anschließend schmiert er ein paar Butterbrote, kocht Kaffee, setzt sich auf seinen Stuhl im Wohnzimmer. Erst nachdem er alles gegessen und seinen Kaffee getrunken hat, geht er nach nebenan. Frau Tarsi öffnet ihm mit Felizia auf dem Arm. Felizia sieht aus, als hätte sie oft und lange geweint, und als sie Hans sieht, streckt sie die Arme nach ihm aus und schaut ihn verzweifelt an. Die Trauer, die Hans empfindet, als er sein Kind in die Arme nimmt, sein Kind, das nicht sein Kind ist und es nie war, kennt einen winzigen Moment lang keine Grenzen. Hans schließt die Augen. Der Moment geht vorbei, aber die Erinnerung an ihn bleibt. Felizia hört auf zu weinen, sie legt ihren Kopf auf seiner Schulter ab, drückt ihre Stirn an seinen Hals und gibt zufriedene Laute von sich. Frau Tarsi steht daneben und sagt kein Wort.
    Als Hans wieder sprechen kann, sagt er: »Ich komme später, dann erzähle ich, wie es war.«
    Frau Tarsi sagt: »Zum Abendessen. Herr Wenzel kommt auch.« Hans nickt, dann geht er mit Felizia nach Hause. In seiner Wohnung setzt er sich mit ihr im Wohnzimmer auf den Boden unter dem Fenster. Er drückt Felizia den Beißring in die Hand, den Herr Wenzel ihr geschenkt hat, und während sie darauf herumkaut und ihn anschaut, erzählt Hans ihr alles, was an diesem Tag geschehen ist. Als er fertig ist, seufzt er und schaut aus dem Fenster. Dann wendet er sich wieder zu Felizia und sagt: »Ich hoffe, dein Vater liebt dich so, wie ich dich liebe.«
    An diesem Abend erzählt Hans noch einmal von seinem Besuch in der Justizvollzugsanstalt. Felizia liegt im Schlafzimmer der Tarsis und schläft, nachdem sie während des Essens ihre Milch bekommen hat. Als Hans geendet hat, ist es eine Weile still. Dann sagt Herr Wenzel: »Felizia wird also nur eine Episode in unseren Leben gewesen sein?« Er schüttelt den Kopf, als könne eres nicht glauben. Hans zuckt mit den Schultern, er kann nicht sprechen, er muss sich zusammenreißen. Frau Tarsi hat Tränen in den Augen. Herr Tarsi schenkt Tee nach, seine Augen sind feucht. Er sagt: »Ich habe den Flur geputzt, haben Sie gesehen?«
    Hans schüttelt den Kopf.
    Herr Tarsi lächelt traurig. »Sie überlassen das besser mir, das ist nicht Ihre Stärke.«
    Hans nickt.
    Frau Tarsi schnäuzt sich geräuschvoll. Anschließend faltet sie ihr Taschentuch mit übertriebener Sorgfalt zusammen. Sie sagt: »Es ist die richtige Entscheidung. Felizia soll bei ihrem Vater und ihren Geschwistern sein, das ist das Beste für sie.« Sie nickt mit Nachdruck, als müsse sie sich selbst davon überzeugen. Sie sagt: »Hat sie Ihnen gesagt, wie Felizias richtiger Name
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