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Glückskind (German Edition)

Glückskind (German Edition)

Titel: Glückskind (German Edition)
Autoren: Steven Uhly
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Lippen, klimpert mit den Augen, eine Karikatur seiner Frau ist er jetzt. »Du hast dich doch nie gekümmert, alles musste ich machen«, sagt er im Falsett. Sofort wird er wieder zu Hans, der wütend und viel zu laut antwortet: »Du hast mich doch nicht gelassen. Alles wusstest du besser, immer hattest du Angst, dass ich was falsch mache!« Aber da ist schon wieder seine Frau mit ihrem abschätzigen Blick und dieser nervigen Stimme: »Du warst ja auch nicht der Geschickteste, Schatz, und wenn ich dich daran erinnern darf: Ich habe das Geld nach Hause gebracht. Ich habe alle Anschaffungen bezahlt. Ich habe die Miete bezahlt, Monat für Monat, die Lebensmittel, die Kleider, sogar deine Zigaretten habe ich bezahlt, denn du hattest ja keinen Pfennig!«
    Hans: »Aber doch nur, weil ich meine Karriere zu Gunsten deiner aufgegeben habe! Damit du arbeiten gehen konntest, bin ich bei den Kindern geblieben, hast du das etwa vergessen?!«
    Karin: »Karriere? Welche Karriere? Du hattest doch nur Jobs!«
    Hans schweigt. Sie hat recht. Ich hatte nur Jobs, nichts, was gegen ihre lupenreine Laufbahn angekommen wäre. Das habe ich nun davon, dass mir Geld nicht so wichtig war, denkt er. Dass ich es als spießig verachtet habe, wenn einer sich um seine Finanzen sorgte. Dass ich anders sein wollte als andere Männer. Kein Macho, kein Patriarch, kein konservativer Katholik wie mein eigener Vater, der Mutter ein Leben lang gegängelt hat, bis sein Gehirn mit einem Schlag aufhörte zu funktionieren und er eine ängstliche alte Frau zurückließ, die sich nichts zutraute und freiwillig ins Altersheim ging, weil sie ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter nicht zur Last fallen wollte, wie sie behauptete. – »Ha!«, macht Hans grimmig. Es ist mir wirklich gelungen, nicht so zu werden wie mein Vater, denkt er. Und Hartz IV ist der Beweis dafür. Hans lässt die Schultern hängen. »Aber am meisten«, sagt er nun ganz unverstellt in den Spiegel, »wurmt es mich, dass die Kinder besser mit dir auskamen, obwohl sie den ganzen Tag bei mir waren.«
    Da sagt Hans’ Gesicht mit Hans’ Stimme aus dem Spiegel: »Kein Wunder, du warst ja auch überfordert.«
    Hans nickt zustimmend. Zwei Kinder großziehen, das hatte ihm niemand beigebracht. Ihm fallen Szenen ein, die noch im Nachhinein schmerzen. Ein Wutausbruch, den er hatte, als Hanna etwas über ein Jahr alt war, nur weil sie immer wieder von unten auf den Tisch langte, wo Geschirr und Besteck lagen. Hans schließt kurz die Augen, so schmerzhaft ist die Schuld, die er empfindet. Danach schrie Hanna eine Stunde lang nach ihrer Mutter, aber die war ja arbeiten. Hans seufzt tief. »Wird Zeit, dass du dir einiges verzeihst«, sagt er zu seinem Spiegelbild. Dann beginnt er, sich mit der Nagelschere das Haar zu schneiden. Das ist anstrengend, immer wieder muss er die Arme herunternehmen, weil sie ermüden. Als sein Kopf nur noch von unregelmäßigen Büscheln bedeckt ist, die ihn an einen Vogel in der Mauser erinnern, rasiert er sich den gesamten Schädel und hat nun eine Glatze. »Das hat etwas Klares, Sauberes«, sagt er, als er fertig ist. Der Mann im Spiegel ist wieder ein Fremder, denn so hat Hans sich noch nie gesehen. Die Kopfhaut und die Haut am Kinn heben sich rosaweiß gegen die lederne Bräune seiner Stirn, Nase und Ohren ab. Es sieht aus, als wäre er aus Teilen verschiedener Menschen zusammengesetzt. Aber es gefällt ihm, denn es ist etwas Neues. Nun muss der Rest folgen.
    Er zieht sich aus, stopft eine Menge Kleidung in die Waschmaschine, die unter dem Waschbecken steht. Er schaltet den Intensivwaschgang ein. Seit Monaten hat er sie nicht mehr benutzt. Dann duscht er bei offener Badezimmertür, um Felizia nicht zu überhören, falls sie aufwacht. Das war klug, denn er hat sich gerade von Kopf bis Fuß eingeseift und zugeschaut, wie das Wasser sich auf seinem Weg vom Duschkopf bis zum Abfluss braun verfärbt, als das Baby anfängt zu schreien. So schnell hat er sich seit zwanzig Jahren nicht mehr abgetrocknet. Anschließend rennt er ins Schlafzimmer, nimmt das winzige Wesen in seine Arme und eilt in die Küche. Wasserkocher, Milchpulver, Fläschchen – nach fünf Minuten ist alles fertig und Hans sitzt erschöpft am Küchentisch, während Felizia gierig trinkt. Dabei schaut sie ihn lange an, und Hans hat den Eindruck, sie wundere sich. Er lächelt und sagt: »Gefall ich dir? Das habe ich für dich getan. Geht ja nicht, dass du so proper bist und ich so schmuddelig. Aber morgen wirst du
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