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Glückskekssommer: Roman (German Edition)

Glückskekssommer: Roman (German Edition)

Titel: Glückskekssommer: Roman (German Edition)
Autoren: Kerstin Hohlfeld
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wetzen und auf mir herumhacken. Wie es scheint, muss ich da durch.
    Lila bringt das Geschirr in die Küche. Dann kommt sie wieder und setzt sich zu mir ans Bett. »Klar, die Chefin wird sauer sein«, denkt sie laut. »Das ist hart, was da über sie in der Zeitung steht.«
    »Und es ist auch ungerecht«, sage ich leise. Einen Moment lang tut mir meine Chefin sogar mehr leid als ich mir selber. »So streng wie sie auf Qualität achtet …«
    Lila nickt.
     
    »Ihr dürft Fehler machen«, hatte die Senner gleich am Anfang unserer Ausbildung gesagt.
    Sie war wie ein Feldwebel vor seinen Rekruten auf und ab geschritten und hatte uns streng über den Rand ihrer Lesebrille in die Augen geblickt.
    »Jeder macht Fehler, denn nur daraus lernt man etwas. Aber wenn ihr eine Arbeit aus der Hand gebt, dann muss es erste Qualität sein. Kein einziges Kleidungsstück verlässt mein Haus, wenn es nicht 100-prozentig einwandfrei ist. Denn nur das unterscheidet unsere Ware von diesem Made-in-China-Zeug von der Stange, bei dem nach ein paar Tagen die Nähte reißen. Wer von euch bei einem Kunden eine lose Naht abliefert, wird gefeuert, nein mehr noch, er wird vorher von mir eigenhändig umgebracht.«
    Die ganzen drei Jahre bei ihr hatte ich umsichtig jede Naht überprüft und nie, nicht ein einziges Mal, war etwas reklamiert worden, was ich genäht hatte.
     
    »Weißt du, was ich nicht verstehe?«, frage ich.
    »Was denn?«
    »Warum die Naht überhaupt gerissen ist.«
    »Vielleicht war das Kleid einfach zu eng?«
    Ich verdrehe die Augen.
    »Lila!«, sage ich vorwurfsvoll und tippe an meine Stirn. »Ich habe es der Andrees auf den Leib geschneidert.«
    »Ja, woher soll ich denn wissen, was passiert ist?«, fragt Lila und springt auf. »Und nun zieh dich endlich an. Wir müssen los.« Sie schnappt sich meine leere Kaffeetasse, sammelt beim Rausgehen noch meine verstreuten Klamotten ein und rauscht aus dem Zimmer.
    Vor dem Spiegel kämme ich mich und stecke mir selbst die Zunge raus.
    Alles wird gut.
    »Ich werde es schon überstehen«, murmele ich vor mich hin. »Ich muss mich entschuldigen, zuerst bei der Chefin und dann bei Eva Andrees. Sie werden mir bestimmt verzeihen.«
    Ich bin ein Stehaufmännchen. Auch wenn ich schnell aus der Fassung gerate – mein Optimismus siegt am Ende meistens doch.
    »Rosa ist wie ein Gewitter«, haben meine Eltern früher immer gesagt. »Erst donnert und blitzt sie und dann scheint ganz plötzlich wieder die Sonne.«
    Erst als wir schon in der S-Bahn Richtung Umland sitzen, fällt mir auf, dass Rob direkt nach dem Duschen grußlos verschwunden ist. Auf meinem Handy ist keine Nachricht, dass er weg musste oder so. Ich finde, er verhält sich ziemlich merkwürdig.
     
    *
     
    Unser Ausflug scheint wider Erwarten nett zu werden. Als Lila und ich unsere Kolleginnen am Bahnhof treffen, sind alle ausnahmslos freundlich und ungezwungen.
    Wir entern eine große Draisine, die man vorwärtsbewegt, indem zwei Leute einen Hebel abwechselnd nach unten drücken, während die anderen auf einer Bank sitzen und die Fahrt genießen können. Wir haben Picknickkörbe dabei, die unsere Chefin bei einem noblen Partyservice bestellt hat. Annemarie hat gebacken. Aus dem Korb, den sie anschleppt, wabern süße Düfte. Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Ihre Kuchen sind wirklich gut.
    Wir laden noch einen Kasten grüne Berliner Weiße auf, dazu Wasser und drei Kannen Kaffee.
    Jetzt kann es losgehen. Die Stimmung ist heiter. Auch die Chefin wirkt gelöst. Wir gleiten im strahlenden Sonnenschein über die Schiene. Nachdem ungefähr eine Stunde niemand etwas gesagt hat, fange ich an, mich ein wenig zu entspannen.
    Vielleicht haben die anderen überhaupt nichts von der Panne mitbekommen? Nicht Fernsehen geschaut, keine Zeitung gelesen. Vielleicht hat sich die Welt gestern doch nicht nur um mich gedreht.
    Mitten auf dem Weg halten wir an und heben die Draisine mit vereinten Kräften aus der Schiene, damit wir die meist eingleisige Strecke nicht blockieren.
    Unter Bäumen liegt ein lauschiger Picknickplatz. Das Essen ist ganz ausgezeichnet. Es gibt gefüllte Wraps, würzige Chickenwings, Himbeertörtchen mit Schlagsahne und Annemaries Kuchen – gefüllter Bienenstich.
    Zur Feier des Tages hat Lila zwei Packungen Glückskekse aus meinem Vorrat mitgenommen. Ich finde, sie hätte mich ruhig fragen können. Aber ich sage nichts, weil ich so erleichtert bin, dass alle mich normal behandeln. Lächelnd und kommentarlos verfolge ich
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