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Glücksfall

Glücksfall

Titel: Glücksfall
Autoren: Marian Keyes
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die verriegelt wurden und wo höchste Sicherheitsvorkehrungen galten und man mit klirrenden Schlüsseln rein- oder rausgelassen wurde, aber wenn man zur Frühlingsblüten-Station wollte, wohin ich mich begab, fuhr man einfach mit dem Aufzug in die dritte Etage und ging rein.
    Wenn sich die Aufzugtüren öffneten, führte ein langer, holzgetäfelter Flur – wahrscheinlich aus Walnussholz – zum Schwesternzimmer. Vom Flur gingen zu beiden Seiten Zimmer ab, in denen jeweils zwei Betten standen. Voller entsetzlicher Neugier starrte ich in jedes Zimmer, an dem ich vorbeikam. Manche waren leer und hell, und die Betten waren ordentlich gemacht. In anderen waren die Vorhänge vor den Fenstern zugezogen, und unter blauen Krankenhausdecken zeichneten sich gekrümmte Formen ab, mit dem Rücken zur Tür. Ich ging den Flur entlang, schwang meine Tasche und versuchte, möglichst lässig zu wirken. Ich musterte jeden, dem ich begegnete, aber niemand beachtete mich. Ich konnte schließlich irgendeine Besucherin sein.
    Ich kam zum Schwesternzimmer. Sehr schön war es, mit dem geschwungenen Holztisch, wie der Verkaufstisch in einer Boutique. Ich ging weiter, an der offen gestalteten Sitzgruppe vorbei, an der Küche vorbei, am Raucherzimmer vorbei und ins Fernsehzimmer.
    Im Fernsehzimmer saß ein Mann. Er war allein und hockte regungslos vor einem Schachbrett. Ich blieb an der Tür stehen, und er sah auf, plötzlich alarmiert.
    Ich sagte: »Hallo, Wayne.«

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    E r sprang auf. »Was?« Seine Stimme klang panikerfüllt.
    »Alles okay«, sagte ich schnell. »Alles in Ordnung. Regen Sie sich nicht auf, rufen Sie nicht die Schwester, ich erkläre Ihnen alles.«
    »Wer sind Sie?«
    »Ich bin Helen, ich bin niemand, ich bin nicht wichtig.«
    »John Joseph? Jay?«
    »Hören Sie …«
    »Ich komme nicht zurück. Ich mache bei den Konzerten nicht mit, ich stelle mich nicht …«
    »Sie müssen gar nichts tun. Ich war nicht hier, ich habe Sie nie gesehen.«
    »Was also …?«
    »Sie müssen nur ein einziges Telefongespräch führen. Ich wähle sogar die Nummer für Sie.«
    »Ich spreche mit niemandem.« Er gestikulierte wild, zeigte auf das Zimmer, auf seine Hose mit Gummizug, seinen rasier ten Kopf. »Ich bin in einer psychiatrischen Klinik . Ich bin selbstmordgefährdet . Sehen Sie mich an.«
    »Wayne, Sie müssen das tun. Jemand anders ist Ihnen auf der Spur. Er hat Ihre Verbindungsdaten, und es wird nicht lange dauern, bis er herausfindet, wo Sie sind. Ihm ist es egal, dass es Ihnen nicht gut geht. Er wird John Joseph sagen, wo Sie sind. John Joseph ist völlig am Ende, er wäre zu allem fähig. Notfalls würde er Sie in einem Korb durch den Wäscheschlucker rausschmuggeln. Irgendwie wür den Sie auf der Bühne landen, und Sie würden in einem weißen Anzug stecken und die alten Songs spielen, und Sie müssten Ihr ganzes Herz hineinlegen, weil John Joseph jemanden bestellt hat, der in den Kulissen steht und den Revolver auf Sie gerichtet hat.«
    Vielleicht hatte ich ein bisschen zu dick aufgetragen. Aber vielleicht auch nicht.
    Wayne sah mich stumm an. Er sah aus, als würde er jeden Moment anfangen zu weinen.
    »Es tut mir wirklich leid«, sagte ich. Auch ich hatte das Gefühl, weinen zu müssen.
    »Okay. Was muss ich tun?«
    Ich nahm mein Handy und tippte eine Nummer ein. Ich wartete, bis am anderen Ende abgenommen wurde. »Wayne möchte Sie sprechen«, sagte ich.
    Ich gab Wayne mein Telefon, und nach einem kurzen Ge spräch gab er es mir zurück.
    »Alles geklärt?«, fragte ich.
    »Alles geklärt.«
    »Jetzt muss ich Sie nur noch bitten, hier zu unterschreiben, dass Sie einverstanden sind.«
    Er überflog den einfachen Vertrag, den Artie für mich auf gesetzt hatte, und unterschrieb.
    »Bevor ich verschwinde, können Sie mir bitte ein paar Details bestätigen? Keiner wird je davon erfahren. Selbst meine Mutter nicht. Es ist nur eine Frage von persönlichem Stolz.«
    »Mal sehen«, sagte er zurückhaltend.
    »Sie haben Zeezah in Istanbul kennengelernt? Sie haben sich verliebt, und Birdie hat es herausgefunden …«
    Er stöhnte. »Ich habe ihr sehr wehgetan. Das hatte sie nicht verdient.«
    »Lassen wir das«, sagte ich schnell. Ich wollte ihn nicht in einem Morast von Schuldgefühlen verlieren. »Weiter. John Joseph trifft Zeezah und spannt sie Ihnen aus. Er will derjenige sein, der sie unter Vertrag nimmt und heiratet. Und Zeezah ist so jung und so … eh …« Wie sollte ich ihre ungeheure Oberflächlichkeit diskret andeuten? »…
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