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Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Gletscherkalt - Alpen-Krimi

Titel: Gletscherkalt - Alpen-Krimi
Autoren: Stefan König
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wenigsten
Gelegenheit, die Musik zu hören, die er hören wollte. Und so laut, wie er
wollte.
    Ellen ignorierte ihn.
    Als er wenig später die Haustür hatte ins Schloss fallen hören,
drehte er die Lautstärke wieder auf. Er ließ sich tiefer in sein Kissen sinken.
Er wollte die Tränen zurückhalten, aber es gelang ihm nicht.
    »Ich bin ein verkrüppeltes, selbstmitleidiges, kaputtgehendes
Arschloch«, sagte er sich, wütend über sein Selbstmitleid. »Ich hab die Ellen
gar nicht verdient.«
    Als er sich ein wenig beruhigt zu haben glaubte, begann er darüber
nachzudenken, ob er je so viel Charakter und Stärke aufbrächte, sie
wegzuschicken.
    Ellen und Marielle liefen sich zufällig über den Weg. Innsbruck
war eine Stadt und zugleich ein Dorf. Wenn man in der Altstadt alle Augenblick
lang jemandem begegnete, den man kannte, glaubte man sich in einem Dorf – und
dann tat sich Marielle jedes Mal schwer zu akzeptieren, dass hier, im ziemlich
engen Tal zwischen den Bergen, hundertzwanzigtausend Menschen wohnten.
    Sie kam aus dem »Sportler Alpin Innsbruck«, wo sie sich fürs
Klettern ein paar Bandschlingen und einen Beutel mit Magnesia gekauft hatte.
    Ellen stand vor den Schaufenstern eines Modegeschäftes, drehte sich
gerade um – und wäre beinahe mit Marielle zusammengestoßen.
    »Hallo«, sagte Ellen mit einem überraschten und zugleich erfreuten
Lächeln.
    »Hi«, sagte Marielle im Moment des Erkennens. Sie waren sich einige
Male begegnet, in einem Gasthaus oder einem der klassischen Innsbrucker Cafés,
wenn sich Marielle und ihr Freund Pablo mit Schwarzenbacher getroffen hatten,
um mit ihm, dem Ex-Kriminaler, an einer alten, ungeklärten Geschichte
herumzutüfteln. Marielle war auch schon zwei-oder dreimal bei Paul
Schwarzenbacher und Ellen in der Wohnung gewesen – aber das war jetzt auch
schon wieder lange her; in den letzten Monaten hatte es keinen Fall gegeben,
den zu lösen sie sich auferlegt hatten. Und einmal war Ellen auch mit dabei
gewesen, als ein Treffen in der Kanzlei von Dr. Reuss anstand. Das war zu
der Zeit, als Schwarzenbacher mit seinem nächsten MS -Schub
zu kämpfen hatte und die Krankheit ihm besonders schwer zu schaffen machte.
    »Lang nicht mehr gesehen«, sagte Ellen. »Eigentlich schade. Was
treibst du immer so?«
    »Alles und nichts.« Marielle grinste. »Studieren, nach wie vor –
Sozial-und Wirtschaftswissenschaften. Allerdings mit wenig Auftrieb im Moment.
Außerdem Lehrgänge absolvieren zur Bergführerausbildung. Und halt selbst viel
bergsteigen und klettern. Und du? Wie geht’s dir?«
    Statt auf die Fragen sofort eine Antwort zu geben, schlug Ellen vor,
auf einen Kaffee zu gehen.
    »Ins ›Central‹?«
    »Ach, nein«, sagte Ellen. »Da vorn, wo es zu den Rathausgalerien
geht, ist im Durchgang so eine kleine Café-Bar.«
    Es war nicht weit bis zum Café in der Norz-Passage. Sie ergatterten
einen Platz in der winzigen Café-Bar, und Marielle zeigte sich erstaunt: »Ich
habe gar nicht gewusst, dass es das gibt … Nur ein paar Schritte von der
Fußgängerzone entfernt und doch abseits vom Trubel.«
    Sie bestellte eine Melange, Ellen einen Verlängerten und dazu ein
Kipferl.
    »Wie geht es Paul?«, fragte Marielle.
    »Nicht gut«, gab Ellen zur Antwort. »Mittlerweile fällt es ihm oft
schon schwer, mit dem Rollstuhl zu fahren.«
    »Scheiße«, sagte Marielle. Sie legte die Stirn in Falten und sog die
Unterlippe ein. »Wie soll das weitergehen?«
    Ellen biss in ihr Hörnchen, wischte sich mit der Papierserviette den
Mund ab und sagte kauend: »Die körperlichen Beschwerden sind nicht das
Schlimmste. Das Schlimmste ist, dass er Depressionen hat. Die plagen ihn sehr.
Und damit plagt er mich und überhaupt alle in seiner Umwelt.«
    Sie sah Marielle in die Augen. »Es ist schwierig«, fügte sie hinzu.
Dann schaute sie in ihre Kaffeetasse, als wenn darin die Lösung eines Rätsels
zu finden wäre.
    Marielle legte die Hand auf die ihre. Sie waren vom Typ her zwei
ganz verschiedene Frauen: Marielle noch sehr jung, Mitte zwanzig, mittelgroß,
schlank, sportliche Figur, sportliches Outfit. Ihre etwas burschikosen
Gesichtszüge wurden durch den Haarschnitt – etwa die Länge wie bei den Beatles
in ihren Anfangsjahren – noch unterstrichen. Doch ihre Lippen waren fraulich,
strahlten etwas Sinnliches aus. Und ihre Augen, die bei genauem Hinsehen eine
zarte Mandelform verrieten, gaben ihr einen leicht exotischen, rätselhaften
Ausdruck. Eine bemerkenswerte junge Frau also.
    Bemerkenswert
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