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Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Gillian Shields - Der Zauber der Steine

Titel: Gillian Shields - Der Zauber der Steine
Autoren: Band 3
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mit den vielen Türen entlangzugehen, und ärgerte mich über meine Schwäche und mein Selbstmitleid. Ich hatte Freundinnen, echte treue Freundinnen: meine Schwestern Evie, Helen und Agnes. Das allein war wichtig für mich. Liebe brauchte ich nicht. Das sagte ich mir jedenfalls und versuchte, daran zu glauben.
    Ich öffnete eine Tür, die in einen schlichten Raum führte. Unser Schlafsaal war kleiner als die meisten in Wyldcliffe, es standen nur drei schmale Betten darin, doch die nüchterne Einrichtung war die gleiche. »Du schläfst unter dem Fenster, genau neben mir. Schau, dein Gepäck ist auch schon da. Im dritten Bett schläft Ruby Rogerson. Sie ist sehr nett, ziemlich ruhig, ein Genie in Mathe. Früher hat Caroline Woodford hier geschlafen, aber sie ist mit ihren Eltern nach Australien gegangen.«
    Velvet starrte in das Zimmer mit den kahlen, weiß gestrichenen Wänden und sagte angewidert: »Das ist ja wie im Gefängnis hier, nein, noch schlimmer! Im Gefängnis könnte man wenigstens Bilder an die Wände hängen. In den anderen Internaten durften wir wenigstens unsere Zimmer selbst gestalten. Das hier ist so … so kalt und seltsam. Als ob wir Nonnen wären oder so.«
    »Das ist Wyldcliffe. Hier ist es eben anders.«
    Velvet ließ sich auf ihr Bett fallen, und einen Moment lang sah es so aus, als ob ihre Verzweiflung echt wäre. Es ging in Wirklichkeit nicht darum, mit anderen ein Zimmer zu teilen oder ein Metallica-Poster aufzuhängen: Sie war verzweifelt, weil ihre Eltern sie im Stich gelassen hatten. Ihre im Rampenlicht stehende Mutter hatte sie nach Wyldcliffe abgeschoben, weil sie zu schön und zu beschäftigt war, um sich um eine Tochter im Teenageralter zu kümmern. Da halfen ihr auch ihre berühmten Freunde nicht. Ich ging zu Velvet hinüber und legte ihr meine Hand auf die Schulter.
    »Du hast vorhin gesagt, ich sei gut. Das ist nicht wahr, jedenfalls nicht so, wie du das meinst. Aber ich helfe dir, wann immer ich kann. Vergiss das nicht.«
    Velvet schüttelte meine Hand ab. »Lass das, es ist alles okay.«
    Sie öffnete den Louis-Vuitton-Koffer und kippte den Inhalt aufs Bett. »Wenn ich schon diese ekelhafte Uniform anziehen muss, dann am besten gleich. Wolltest du dich nicht mit deiner Freundin treffen, die mit den tollen roten Haaren? Ich habe das starke Gefühl, dass sie mich nicht mag.«
    »Evie hat harte Zeiten hinter sich«, setzte ich an, um sie zu verteidigen, »sie hat viel durchgemacht. Sie lebte bei ihrer Großmutter, aber die ist gestorben. Deshalb musste sie hierher kommen, ins Internat. Das war nicht einfach, und …«
    »Schon gut. Sie will halt nicht, dass ich was mit ihrem knackigen Stallburschen anfange. Er steht auf sie, das sieht ein Blinder, sie hat ja auch was. Sie sieht aus wie eine viktorianische Meerjungfrau. Hey, sie erinnert mich irgendwie an Lady Agatha auf diesem komischen alten Schinken, von der die Direktorin erzählt hat.«
    »Lady Agnes. Äh … meinst du wirklich? Oh, wie die Zeit vergeht, es ist schon spät.«
    »Okay, dann geh runter«, Velvet kramte in ihren Klamotten, »ich komm schon klar.«
    »Weißt du noch, wo der Speisesaal ist?«
    »Ich habe mich selbst in Manhattan nicht verlaufen. Und das war an Silvester, und ich war total breit. Ich werd’s schon schaffen.« Sie hielt kurz inne und sah mich durchdringend an. »Hör zu, Sarah, es gibt keinen Grund, warum du nett und freundlich zu mir sein musst oder so tun müsstest, als ob du mich magst. Ich brauche dich nicht und auch sonst niemanden. Ich will nur so schnell wie möglich wieder hier raus. Und normalerweise bekomme ich das, was ich will, egal um welchen Preis. Komm mir also besser nicht in die Quere.«
    Ich fühlte mich klein und irgendwie bloßgestellt, wie ich da vor ihr stand. Wusste sie etwa mehr über mich, als sie wissen konnte? War ihre Warnung wirklich ernst gemeint? Velvet schien innerlich so verbittert zu sein, dass jeder, der ihr zu nahe kam, von dieser Bitterkeit vergiftet werden würde. Ich wünschte, sie wäre nie nach Wyldcliffe gekommen. Ich konnte nichts für sie tun. Es gab Wichtigeres, worüber ich mir Sorgen machen sollte.
    Ich ließ Velvet stehen und eilte die Marmortreppe hinunter. Evie würde schon warten. Aber als ich in die Eingangshalle kam, war sie noch nicht da. Ich öffnete das Portal, trat auf die ausgetretene Steinstufe hinaus und schaute auf die Einfahrt. Die Spätnachmittagssonne leuchtete in mattem Gold, und die Amseln begannen, ihr Abendlied zu singen. Die Hügel
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