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Giftspur

Giftspur

Titel: Giftspur
Autoren: Daniel Holbe
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Hintergrundbegleitung des vor ihr liegenden Dramas.
    Eine Routineverhaftung.
    Ein toter Familienvater.
    Sabine schaffte es gerade noch, den Kopf zur Seite zu werfen, bevor sie sich übergab.

[home]
    Zwei Wochen später
    E isige Dunkelheit hüllte den Weidenhof ein. Nebeldunst lag über dem Kopfsteinpflaster und leckte an dem uralten Gebälk der ehemaligen Stallungen. Nahezu ungehindert durchdrang die feuchte Kälte den Bademantel des Mannes, der eilig den Innenhof überquerte. Er zog sich mit der Linken den Kragen enger, in der Rechten hielt er zwei Braunglasflaschen an deren dicken Hälsen, die bei jedem Schritt ein Scheppern verursachten. Jetzt, wo absolute Stille über dem Anwesen lag, wirkte es so laut wie der sprichwörtliche Elefant, der eine Scherbenorgie im Porzellanladen feiert. Doch niemand hörte ihn.
    Nicht einmal Gunnar Volz, der auf dem Hof lebende und arbeitende Knecht, war zu sehen. Der schweigsame Hüne mit dem düsteren Blick tauchte in der Regel immer dann auf, wenn man am wenigsten mit ihm rechnete, meist sah man zuerst seine leuchtend gelben Gummistiefel, danach seinen durchdringenden, wie magisch an einem haftenden Blick. Er stand dann einfach da und glotzte, nickte allenfalls kurz und verzog keine Miene. Doch zu dieser Nachtzeit schien selbst Gunnar zu schlafen.
    Ulf Reitmeyer erreichte die Stufen des Wohnhauses, in dem er auch sein Büro hatte, und kickte im Flur die Lederpantoffeln von den Füßen, an deren Sohlen nun Stroh haftete. Er drückte bedächtig die Tür ins Schloss und glitt auf Wollstrümpfen lautlos durch den Wohnbereich, hinüber in Richtung seines Zimmers, aus dem fahler Lichtschein drang. Eine Energiesparlampe tauchte den Raum in kaltes Weiß, er hatte sie längst durch eine Birne mit wärmerem Lichtspektrum ersetzen wollen. Ulf zog den kleinen Absorberkühlschrank auf, der sich unweit seines Schreibtisches in einer kubischen Schrankwand befand, und verstaute eine der beiden Flaschen dort. Die andere öffnete er, klackend schnalzte der Drehverschluss, als die einströmende Luft das Vakuum brach. Er wog das Glas in der Hand und beäugte das farbenfrohe Etikett.
500
ml Bio-Kefir,
eine schwarz-weiß gefleckte Kuh lachte breit, Sonnenblumen umgaben sie. Obwohl keines seiner Milchrinder auch nur jemals in die Nähe einer Sonnenblume kam, wusste Reitmeyer, dass seine Kunden mit diesem Sinnbild genau das assoziierten, was die Marketingfirma ihm versprochen hatte.
    Biologisch-dynamische Glückseligkeit.
    Trinkst du unseren Kefir, kommt der hundertste Geburtstag von ganz allein.
    Aber abgesehen von dem ganzen Brimborium schmeckte das Zeug auch verteufelt gut. Gierig trank Reitmeyer einen großen Schluck, danach einen weiteren. Er setzte die Flasche neben seiner Tastatur ab, entsperrte den Bildschirmschoner und setzte seine Arbeit fort.
    Fünf Uhr früh,
dachte er zerknirscht. Die vergangenen sechs Stunden hatte er auf seiner Matratze verbracht, allein, schwitzend, und das, obwohl er bei gekipptem Fenster schlief und draußen laut Wetterbericht minus zwei Grad herrschten. Doch es gab Dinge, die hielten ihn wach, und falls die Müdigkeit ihn doch einmal übermannte, verfolgten die Dämonen ihn in seine Traumwelt. Es gab keine Möglichkeit zu fliehen, er musste sie besiegen.
    Doch was konnte man schon erreichen, sonntagmorgens um fünf, wenn selbst der debile Gunnar nicht draußen herumspukte?
    Reitmeyer schrieb noch zwei bitterböse E-Mails, löschte einige nicht minder freundlich klingende Aufzeichnungen auf seinem Anrufbeantworter und verschloss den ausgetrunkenen Kefir, um die Flasche anschließend in Türnähe zu deponieren. Den Rest sollte die Putzfrau erledigen, ebenso wie das Reinigen der Hauslatschen. Er legte seinen Hausmantel ab, schlüpfte in seine Laufkleidung, die er stets griffbereit hielt, und schob sich als kleine Stärkung eine Handvoll Nüsse und ein paar kandierte Ingwerwürfel in den Mund.
    Die Morgendämmerung hatte noch immer nicht eingesetzt, aber das machte nichts. Leichtfüßig und mit routiniertem Bewegungsablauf begann Ulf Reitmeyer seinen Lauf. Die frostig schmeckende Luft drückte wie nadelbesetzte Kissen in seine Lungenflügel, so lange, bis das Gewebe sich an die Witterung gewöhnt hatte. Wie Eiszapfen strich der Sog durch Nasenflügel und Stirnhöhlen, doch all das war längst kein Grund, einen Mundschutz zu tragen. Reitmeyer schätzte das Puristische, er stand in bestem Training und bog grimmig lächelnd an einer Wegkreuzung in einen nicht asphaltierten
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