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Gier

Gier

Titel: Gier
Autoren: Garry Disher
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Gefühl abzuschütteln. Er schaltete das Radio ein, um die Nachrichten abzuhören. Nichts über den Frome-Job.
    In Frankston nahm er eine Nebenstraße, um den Weg nach Shoreham abzukürzen. Es hatte mal eine Zeit gegeben, als er sich frei für irgendeinen Job entscheiden konnte und sich nicht mit einem Mistbock wie Ivan Younger einlassen mußte. Damals war die Arbeit eine Herausforderung gewesen, sie hatte ihn am Leben gehalten. Er hatte das Gefühl der Konzentration geliebt, alles ausschalten zu können, was nicht mit dem Job zu tun hatte. Er wußte, wie man wartete, unbeweglich, stundenlang. Small Talk hatte ihn gelangweilt. Er war kalt und distanziert gewesen, aber die Männer, mit denen er gearbeitet hatte, beklagten sich nicht darüber. Denn er durchblickte den Nebel der Einzelheiten, der jeden Job umgab.
    Er schaltete die Scheibenwischer ein. Ein feiner Regen rauschte über die Mornington Halbinsel. In Shoreham bog er nach Norden ab, nahm eine schmale Straße durch eine Gegend mit Obstgärten und Wochenendfarmen, die zwischen Bäumen und Sträuchern auf kleinen, buckeligen Hügeln lagen. Hier und da sah er ein entferntes Licht, aber es war fast Mitternacht, und die meisten der Bewohner würden im Bett liegen.
    Italien, der Pazifik – er war lange nicht mehr dort gewesen. Ungefähr vor zwei Jahren begann alles schiefzulaufen. Jemand schoß während eines Überfalls, fette Coups mußten abgeblasen werden, bevor er sich auf sie einlassen konnte, zu viele kleine Aufträge, zu viele Cowboys wie Sugarfoot Younger in der Szene. Zu viele High-Tech-Spielereien an jeder Tür, jedem Fenster, jedem Safe.
    Er erreichte eine Haarnadelkurve, bremste den Wagen ab und steuerte in seine Einfahrt, ein schmaler Weg, der sich durch eine Zypressenallee wand. Unten lagen die Lichter von Shoreham. Jenseits der Stadt breitete sich die schwarze Masse des Meeres aus. Keine Lichter von Schiffen.
    Plötzlich verloren die Hinterräder ihren Halt im Schlamm. Er steuerte dagegen, und als der Wagen wieder seine Spur fand, entdeckte Wyatt eine regendurchnäßte Gestalt, die einmal in die Scheinwerfer blinzelte und dann verschwand.
    Außerdem hatte er ein Gewehr gesehen. Er zog die Handbremse an, machte den Motor und die Scheinwerfer aus und kurbelte das Fenster herunter. Für einen Moment lauschte er, seine Hand zog die flache 9mm Browning hervor, die er im Wagen aufbewahrte. Er hatte schon die Innenbeleuchtung abgeschaltet und die Tür geöffnet, als eine Stimme rief: »Mr. Warner? Entschuldigung, Mr. Warner, ich bin’s nur.«
    Die Gestalt, die zwischen den Zypressen auf den Weg trat, trug einen wasserdichten Mantel, eine starke Taschenlampe und ein Jagdgewehr. Es war der Nachbarssohn. Wyatt versteckte die Browning wieder. »Craig«, sagte er.
    »Tut mir leid, Mr. Warner. Schon wieder der verdammte Fuchs.«
    Nun konnte Wyatt Craigs Pickel, seine ernsthafte Miene und die störenden Regentropfen in seinen Wimpern sehen.
    »Hast du ihn erwischt?«
    »Ich kann Ihnen sagen«, erwiderte Craig und schüttelte den Kopf, »das ist ein ganz gerissener Scheißkerl.«
    Wyatt nickte. Er startete erneut den Wagen. »Na dann, viel Glück«, sagte er.
    »Nacht, Mr. Warner. Tut mir leid, wenn ich Sie erschreckt habe.«
    Wyatt fuhr weiter die Einfahrt entlang, über den Hof und in den alten Schuppen, den er als Garage benutzte. Er setzte rückwärts hinein, um sich für einen Notfall ein bis zwei Sekunden Vorteil zu verschaffen, und klemmte den Zündschlüssel in einen Schlitz unter der Lenkradsäule.
    Dann ging er zu Bett, doch Mord und Totschlag dominierten seine Träume. Schweißgebadet wachte er auf. Er versuchte zu lesen, fühlte sich aber unzufrieden und gereizt. Es war schlimm genug, daß er Stunden für einen unbedeutenden Job mit einem Stümper verschwendet hatte und dann ohne Geld dastand, aber darüber hinaus war er in Ivan Youngers Lagerraum nah dran gewesen, die Kontrolle über sich zu verlieren. Ein Job war ein Job; da war kein Platz für Emotionen. Er hatte früher Leute schon mal verletzt oder getötet, aber nur wenn es notwendig gewesen war. Sonst wurde es schnell zum Patentrezept für alles, und das war gefährlich.
    Am Morgen ging er spazieren. Das tat er nach jedem Job. Er hielt sich an seinen Grenzzaun, als wollte er die fünfzig Hektar um sein Cottage markieren und nachmessen. Er sah die mit Schilf zugewachsene Bucht, die Bäume, die Wasservögel und genoß den Blick über die Bucht nach Phillip Island. Die Farm gehörte ihm. Sie war
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