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Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)

Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)

Titel: Gib's mir, Schatz!: (K)ein Fessel-Roman (German Edition)
Autoren: Ellen Berg
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jenseits der glamourösen Einkaufsmeile. Das Pflaster war vermüllt, und die Leute, die an ihr vorbeihasteten, sahen nicht so aus, als ob sie Designermode in Übergrößen vermissten.
    Sie wollte gerade das Kaufhaus betreten, als sie wie vom Blitz getroffen stehenblieb. Starr vor Entsetzen blinzelte sie in die Morgensonne. Was war das? Es dauerte ein wenig, bis ihr Verstand begriff, was ihre Augen sahen. Dort drüben schlenderte Wolfgang entlang – und er war nicht allein. Nun traf es sie mit der Wucht eines Erdbebens, sie taumelte einen Schritt rückwärts. Wolfgangs Hand lag auf der Schulter einer Frau, die ihn verzückt anlächelte. Sie war jung. Sie war hübsch. Sie war DÜNN!
    Nikis Beine knickten ein. Instinktiv klammerte sie sich an den nächstbesten Arm. Er gehörte einem älteren Herrn in einem steingrauen Popelinemantel, dessen spärliches weißes Haar nach allen Seiten abstand.
    »So früh am Morgen, und schon betrunken!«, schimpfte er. »Lassen Sie mich gefälligst los!«
    Doch Niki musste sich festhalten, sonst wäre sie mit Getöse zu Boden gegangen. Verzweifelt krallte sie ihre Finger in den Mantel und schloss die Augen. Sie hatte genug gesehen. Oderwar es nur eine Halluzination gewesen? Als sie die Augen wieder öffnete, schmolz ihre letzte Hoffnung dahin wie ein Eclair in der Mikrowelle. Wolfgang war stehengeblieben und küsste die junge Frau. Eng presste sie sich an ihn, während seine Hände zu ihrem kleinen, runden Po wanderten.
    Niki dagegen presste sich an einen wildfremden Herrn aus der Abteilung rüstiger Rentner. Vergeblich versuchte er, die schwergewichtige Frau abzuschütteln, die an ihm hing wie ein Koala am Eukalyptusbaum.
    »Haben Sie eigentlich noch einen letzten Rest Selbstachtung?«, blaffte er.
    »Ist mir gerade abhandengekommen«, schluchzte Niki.
    Dann ließ sie den älteren Herrn los und rannte davon, so schnell sie konnte. Blind vor Tränen erreichte sie ihren Wagen. Es war alles aus.
    Wie durch ein Wunder landete Niki unfallfrei im Carport ihres adretten Einfamilienhauses. Sie hatte ein paar rote Ampeln überfahren und nur um Haaresbreite eine antriebsschwache Rentnerin verfehlt, die in Zeitlupe einen Zebrastreifen überquerte. Wie sie alles hasste! Wolfgang. Seine
    Geliebte. Am meisten aber sich selbst.
    Nachdem sie ausgestiegen war, blieb sie einen Moment lang stehen. Voller Bitterkeit betrachtete sie das Haus, das so viele Jahre ihr Daheim gewesen war, ihre Burg, ihr warmes Nest. Der zweistöckige Bau lag auf einer kleinen Anhöhe, umgeben von einem anmutig verwilderten Garten mit blühenden Büschen und alten Obstbäumen. Die grüngestrichenen Fensterläden, die strahlend weiß verputzten Mauern und das weit heruntergezogene Ziegeldach verliehen dem Haus jene Gemütlichkeit, die Niki vom ersten Augenblick an angezogenhatte. Hier hatte sie mit Wolfgang alt werden wollen. Vorbei.
    Während ihr Ströme von Tränen über die Wangen liefen, schloss sie die Haustür auf, lief ins Wohnzimmer und warf sich auf die Couch. Hemmungslos weinte sie in ein Sofakissen. Was hatte sie denn erwartet? Dass ein attraktiver Mann wie Wolfgang allen Ernstes eine Vollfettstufe liebte? Ausgerechnet Wolfgang, der regelmäßig ins Fitnessstudio ging und eine Figur besaß, auf die selbst Brad Pitt neidisch gewesen wäre?
    Es gibt Situationen im Leben, in denen man eine gute Freundin braucht. Glücklicherweise hatte Niki gleich mehrere gute, na ja, ziemlich gute Freundinnen. Doch was hätte sie schon zu hören bekommen? Vermutlich liebreiche Sätze wie: »Sieh dich doch an – du hast dich gehen lassen. Hast alles in dich reingestopft, was nicht bei drei im Kühlschrank war. Jetzt bekommst du die Quittung!« Nein, diese Art von Trost konnte sie nun wirklich nicht gebrauchen.
    Wenn doch wenigstens ihre Tochter Peggy noch da gewesen wäre. Doch die lebte ihr eigenes Leben und ließ sich nur noch selten zu Hause blicken. Besonders herzlich war das Verhältnis schon länger nicht mehr. Ein, zwei Anrufe im Monat, ab und zu ein Pflichtbesuch, zu mehr reichte es nicht. Peggy war vierundzwanzig und als angehende Juristin äußerst zielstrebig. Eine junge Karrierefrau, im Gegensatz zu ihrer Mutter. Niki war allein. So allein, wie man nur sein konnte.
    Wieder stieg das Bild der unerträglich jungen, hübschen und grässlich dünnen Frau in ihr hoch. Es tat verflucht weh. Wer konnte schon wissen, wie lange das bereits lief mit den beiden? Tage? Wochen? Monate? Brutal hieb Niki auf das Sofakissenein. Ha!
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