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Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter

Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter

Titel: Gib den Jungs zwei Küsse: Die letzten Wünsche einer Mutter
Autoren: St John Greene
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Weird Fish, in der ich mir Kate vorstellte, sobald ich sie im Schaufenster entdeckt hatte, und ich konnte sie mir auch jetzt darin vorstellen, wie sie im Sonnenschein saß und kichernd ein rasch schmelzendes Erdbeereis aß. Daneben entdeckte ich ein Paar sexy High Heels, die sie einst zu einem schwarzen, seitlich mit bunten Blumen bedruckten Kleid von French Connection getragen hatte. Die Schuhe standen auf einem Paar rosa-weißer Heelys. Typisch Kate, sagte ich mir. Gerade noch eine Sirene auf mörderischen Absätzen und gleich darauf eine verrückte Flitzebiene, die auf Turnschuhen mit eingebauten Rollen unter der Ferse über die Gehwege fegte und dabei noch immer aussah wie der Teenager, dem ich zum ersten Mal in der Roller-Disco begegnet war.
    Kate liebte lang herabbaumelnde Ohrringe. Ein paar ihrer Lieblingsohrringe sah ich auf dem Frisiertisch liegen, wo sie sie abgelegt hatte, aber ich wusste, dass noch Hunderte davon in Schubladen und Schmuckschatullen verwahrt lagen. Sie liebte sie über alles, und weil auch ich sie gern an ihr sah, hatte ich ihr im Lauf der Jahre Unmengen davon gekauft. Auch gefiel mir, dass Kate sie alle wertzuschätzen wusste, egal ob es billige waren, die wir im Urlaub einem Straßenhändler abgekauft hatten, oder welche aus Weißgold mit Aquamarinen, erworben zu besonderen Anlässen wie ihrem Geburtstag oder unserem Hochzeitstag.
    Ich nahm ein Stück weiße Pappe, das zu einer Verpackung gehört hatte, von der Kommode und steckte die beiden verirrten Ohrringe vom Frisiertisch sorgfältig darauf fest. Es lagen noch welche in einem kleinen Schmucktöpfchen, die ich ebenfalls feststeckte, alle in ordentlichen Reihen, bis die Pappe vor silbernen Delphinen, Liebesknoten, tanzenden Schildkröten und glänzenden Muscheln regelrecht funkelte.
    Bei diesem Anblick fühlte ich mich an meine Kindheit erinnert, an die Zeit, als ich akribisch tote Käfer und Schmetterlinge auf steife Kartonstreifen gespießt hatte, damit ich ihren Aufbau und ihre Skelette bewundern konnte. Ich weiß noch genau, dass mich wegen meiner morbiden Faszination manchmal Gewissensbisse geplagt hatten, wenn ich sie, wohl wissend, dass sie nie wieder fliegen würden, unter mein Schülermikroskop hielt. Kate hatte mich dieses Kindheitshobbys wegen immer wieder tadelnd aufgezogen, denn sie war auf der anderen Seite des Moorgebiets emsig damit beschäftigt gewesen, Insekteneier zu sammeln und Nachtfalter und Schmetterlinge in einem Vivarium auszubrüten. Das war ihr Hobby als Schülerin, aber ihre Liebe zu den Nachtfaltern und Schmetterlingen überdauerte.
    »Soll das etwa heißen, du hast mit einem Netz bewaffnet dagestanden, bereit, die Schmetterlinge, nachdem ich sie nach all meiner harten Arbeit auf den Feldern freigelassen hatte, einzufangen und zu töten und auf ein Stück Pappkarton zu spießen?«, fragte sie mit gespielter Indignation.
    »Entschuldige!«, erwiderte ich damals. »Ich hatte doch keine Ahnung, wie viel Mühe du dir gemacht hattest!«
    »Mörder!«, gab sie damals zurück.
    Ich hob eine schwarze Lederhandtasche vom Boden auf, die neben Kates Bettseite lag. Sie war eins ihrer letzten Lieblingsstücke gewesen, und sie hatte sie mit ins Krankenhaus genommen, als sie zum letzten Mal eingeliefert wurde. Nach ihrem Tod hatte ich sie mit nach Hause genommen und instinktiv neben dem Bett abgestellt, wie Kate früher. Vorsichtig öffnete ich den Verschluss, eine schlichte schwarze Spange, und warf dann einen Blick hinein. Ich fühlte mich ein wenig unwohl dabei und kam mir wie ein Schnüffler vor, aber es gehörte zu den Dingen, die getan werden mussten, auch wenn Verwaltungsangelegenheiten und Organisation nicht zu meinen Stärken zählten. Als Erstes mussten Kates Bankkarten und ihr Führerschein entwertet werden. Sie hätte sicherlich gewollt, dass ich alles ordentlich aussortiere, und ich wollte nicht, dass sich Aufgaben und Papierkram anhäuften und am Ende alles im Chaos versank.
    Ich holte ihre Geldbörse heraus und zog eine Handvoll Plastikkarten und alte Quittungen heraus. Als Nächstes kippte ich behutsam den restlichen Tascheninhalt auf das Bett. Vor mir lag ein in Einzelteile zerlegter Schnappschuss von Kates Leben. Ein Foto von mir und den Jungs in Disneyland, auf dem wir grinsend die Köpfe zusammensteckten. Dieses Bild war jedoch halb verdeckt von einem alten Passfoto von mir und Kate. Es zeigte uns Wange an Wange als jung aussehende Teenager, wie wir uns nicht mehr einkriegten vor Lachen, weil wir in
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