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Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman
Autoren: Heinrich Steinfest
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Hübsche Kinder,
herausgeputzt und lieblich wie auf einem Foto von diesem Weichzeichnerkünstler… wie
hieß der doch? Fritz hatte es nicht mit Namen. Ja, er mußte froh sein, sich an
die Namen seiner Töchter, die nicht mehr seine Töchter waren, zu erinnern.
Namen, die er nie aussprach.
    Aus den Nischen seines Kopfes trat die alte Wut. Er konnte seinen
Blick nicht losreißen von dieser Familienidylle aus Primararzt und Gattin und
den lachenden Mädchen in ihren pfiffigen Sommerkleidchen. Das Lachen drang
herüber, die Leichtigkeit des Lebens, der Beweis, wie gut es den Kindern ging.
Alles war so ordentlich, so perfekt. Eine Perfektion, die nur möglich geworden
war, weil man ihn, Fritz, zu einem Ohrfeigen austeilenden Monstrum gestempelt
hatte. – Die heillose Wunde brach auf. Fritz sagte sich: Rache ist eine
schlechte Sache. Gehört aber dazu. Ohne Rache wäre das alles nicht komplett.
    Keine Frage, die Wut raubte ihm den Verstand. Einerseits.
Andererseits machte ihn die Wut ruhig. Er hatte sich unter Kontrolle. Er
beschloß, etwas Raffiniertes zu unternehmen. Fing also nicht etwa an, gleich
hier und jetzt durchzudrehen. Statt dessen begab er sich auftragsgemäß in das
Arbeitszimmer des Partygebers, stöberte ein wenig herum und machte Aufnahmen
von einer Schatulle, die auffälligerweise in einem simplen Karton untergebracht
war. Sie aber auch nur anzufassen unterließ Fritz. Nahm sich jedoch die Zeit,
ein Blumenbild zu studieren, ein im Stil der alten Meister gefertigtes Gemälde,
dem man allerdings ansah, daß es aus unserer Zeit stammte. Die Blüten und
Blätter, das Getier, die Wassertropfen, das Glas der Vase, der Marmor des
Tisches, das Dunkel des Hintergrunds, dies alles wirkte auf eine wunderbare
Weise realistisch, noch duftiger, noch lebendiger als die Wirklichkeit.
Kompakter, gedrängter, ein Übergewicht an Wirklichkeit, zwei Atome, wo
üblicherweise nur eins war. Licht und Schatten besaßen eine massive, alles
verschlingende Samtigkeit. Fritz fühlte, wie diese Samtigkeit schwer auf seinen
Augen lag, ihn beglückte und anstrengte (was ja auch der Sinn von Kunst ist).
Und dann…eine Wespe – eine Wespe, die er selbstverständlich für gemalt
gehalten hatte – löste sich aus dem Bild, brachte ihre Flügel in Schwung und
schwirrte in den Raum hinaus, querte das halbe Zimmer, drehte ein paar Runden
um den Luster, stieß einige Male heftig gegen die Scheibe, sauste an der
Bücherwand entlang, zog eine Kurve und setzte exakt wieder an der Stelle im
Bild auf, wo sie zuvor gesessen hatte, auf dem Kronblatt einer geflammten,
fleischigen Tulpe. Dort blieb sie regungslos sitzen, und es wäre Fritz
unmöglich gewesen, zu sagen, ob sie echt oder gemalt war, hätte er es nicht
gerade eben erfahren. Wobei ihm der Gedanke kam, wie praktisch es für ein Wesen
sein müßte, für jedes Wesen, zwischen einem gemalten und einem lebendigen
Zustand hin und her wechseln zu können, sich also in ein Bild zu flüchten, um
sodann aus diesem Bild heraus erneut und überraschend ins Leben zu treten, aber
in der Folge – des Lebens müde – sich wieder in diesem Bild auszuruhen, nur
noch aus Schichten von Farbe zu bestehen, so gut wie unangreifbar zu sein.
Wären da nicht diese Leute, die Bilder immer antatschen müssen.
    Auch Fritz hätte in diesem Moment gerne nach der Wespe gegriffen. Um
festzustellen, ob sie nicht tatsächlich…
Aber wie gesagt, Gemälde faßt man nicht an. Und Wespen schon gar nicht.
    Er verließ die Party, ohne Sheila unter die Augen getreten zu sein.
Einige Wochen später jedoch erschien Fritz – bestens gekleidet, seriös bis zu
den Manschettenknöpfen und einer schwarzen Hornbrille, geradezu
mastroianniartig elegant –, erschien er also auf einem Bankett, welches anläßlich
der Übergabe einiger wertvoller Graphiken eines Privatsammlers an den Staat
abgehalten wurde. Es waren hohe Gäste zu Besuch, zwei, drei Minister, zwei,
drei Botschafter, eine Operndiva und auch jener hochangesehene Chirurg, der mit
Operndiven und Ministern genauso gut konnte wie mit den Granden aus der
Unterwelt. Einer Unterwelt, die sicherlich ebenfalls vertreten war, ohne daß
man sie – die Unterwelt – irgendwie hätte ausmachen können. Die Unterwelt kam
ja nicht daher wie in einem Mafiafilm. Zumindest nicht hier, im Umfeld einiger
wunderbar zarter
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