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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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und hinter der grünen Masse dieses Wäldchens standen, fast völlig verborgen, die beiden prächtigen einzigen Häuser, die in der Sackgasse gebaut worden waren, Claras Haus in der Nummer 1 und in der Nummer 3, ganz am Ende, das Haus von Maxime.
    In dem Moment, da mir die Sonne ihre sanfte Wärme in den Nacken blies und meine Nase von den Gerüchen der Bäume und Blumen erfüllt war, versetzte mich eine Flut an Erinnerungen um zwölf Jahre zurück zu jenem bereits erwähnten Tag des 6. Juni 1996, der vielleicht der wahre Anfang dieser Geschichte ist – zumindest einer der vielen »wahren Anfänge«.

K APITEL 2
DOPPELGEBURTSTAG
    Diese Begleitung war in sich so schön, dass der von mir empfundene Genuss durch keine Hauptstimme hätte gesteigert werden können
.
Ernst Ludwig Gerber,
Historisch-biografisches Lexicon der Tonkünstler
    Es soll dir, wenn wir uns wieder treffen,
an Kenntniß über dies Alles nicht fehlen!

Heinrich von Kleist,
Michael Kohlhaas

Ich setzte meine Sonnenbrille auf. Um beinahe achtzehn Uhr war der Himmel immer noch gleißend hell.
    Im Laden fasste ich in weniger als einer Minute meinen Entschluss: aber ja, keine Frage, das rätselschwangere Armband aus Leder und Kupfer, dem Maximes abergläubisches Naturell – (trotz der scheußlichen Gesichter, die es zierten) – eine heilsame Wirkung zuschreiben würde, schließlich käme das Geschenk ja von mir … Ich hatte zwischen der Originalausgabe eines Bandes von einem seiner Lieblingsautoren, einem Metronom mit diamantgeschmückter Spitze und dem Armband aus Cordoba geschwankt.
    Das Antiquitätengeschäft von Charlier G. (Guy) lag nur zwei Schritte von meinem Haus entfernt in der Rue Victor-Masse. Der Antiquitätenhändler mit dem gierigen, hässlichen Lächeln und dem abstoßenden faltigen Glatzkopf (der es für eine gute Idee gehalten hatte, sein Geschäft »Zeiten und Wunder« zu nennen) besaß zwei wesentliche Vorzüge: die Schönheit der angebotenen Objekte und seine absolute Ehrlichkeit im Hinblick auf ihre Echtheit und ihre Geschichte. Das bei archäologischen Ausgrabungen entdeckte Armband bestand ursprünglich aus behauenen Kupferplättchen, die grimassierende, wasserspeiende Gesichter darstellten. Die Hälfte der Plättchen war in schlechtem Zustand gewesen. Gegen 1930 war schließlich ein Kunsthandwerker in Cordoba auf den Gedanken gekommen, diese durch Lederstücke gleicher Größe zu ersetzen, auf die er die monströsen Gesichter der intakt gebliebenen Kupferplättchen per Gravurund Malerei sorgfältig übertrug. Das Ergebnis war ein originelles Schmuckstück, das keineswegs uneinheitlich wirkte, so hervorragend war der Wechsel zwischen festem und weniger festem Material, zwischen Hohlform und Relief, zwischen hellem und dunklerem Gelb gelungen.
    Fünf Zentimeter breit, perfekt für Maximes Handgelenk. Mit Gesten, die ausladend und zugleich so betont präzise waren, dass sie, so denke ich mir, Charliers Erregung über seine befriedigte Geldgier kanalisieren sollten, packte er das Armband angemessen ein.
    Ich ging zurück zu meinem leuchtend roten Lancia Thema und raste nach Saint-Maur.
    Hinter dem Quai de Bercy fuhr ich nur etwa hundert Meter die Autoroute de l’Est entlang, hundert Meter mit leichtem Anstieg, die der Lancia förmlich verschlang (ich erinnere mich, dass ich dabei einen Moment von der Sonne geblendet wurde und nichts mehr sah außer Licht, und ich überließ mich der Vorstellung, gleich abzuheben und die Erde, zu unbekannten Abenteuern aufbrechend, zu verlassen), dann: Überquerung der Pont de Créteil (ehrlich gesagt das einzige Abenteuer auf dieser Strecke), Boulevard Fléchère, Place des Deux-Lions, Rue de l’Église, Église Notre-Dame-des-Anges (die eigenartige Kopie – mit Rundbögen, Medaillons und unzähligen Skulpturen auf der Fassade – einer Kirche aus der andalusischen Renaissance, Santa Maria de la Asunción, in Arcos de la Frontera), und schließlich Impasse du Midi.
    In der Sackgasse lag rechterhand ein bewaldetes Grundstück, das wahrscheinlich der Gemeinde gehörte und auf dem die gesunden und kräftigen Bäume offenbar in einer gewissen Symmetrie angepflanzt worden waren. Linkerhand, am Eingang der Sackgasse, Nummer 1, das Haus von Michel und Clara Nomen, deren Namen ich damals noch nie gehört hatte. Maxime selbst, der selten in Saint-Maur, sehr diskret und vor allem desinteressiert war, wusste kaum, dass er Nachbarn hatte. Weder Grundstücksangelegenheiten, noch Nachbarrechtsfragen hatten je
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