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Geschichte der deutschen Sprache

Geschichte der deutschen Sprache

Titel: Geschichte der deutschen Sprache
Autoren: Thorsten Roelcke
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vorliegt, die um das Jahr 600 in Italien angefertigt wurde. Der Beginn des «Vater unser» lautet hier etwa (um nur ein kurzes Beispiel für germanische Sprache zu geben):
Atta unsar, þu in himinam./weihnai namo þein.
(der Buchstabe
þ
ist hier wie das englische
th
auszusprechen).
1.3 Deutsch
    Viele dieser germanischen Sprachen und Mundarten sind im Laufe der Geschichte verloren gegangen. Diejenigen, die überlebt haben, lassen wieder ein genaueres Bild erscheinen: So unterscheiden wir heute die nordgermanischen Sprachen Schwedisch, Norwegisch, Dänisch, Isländisch und Färöisch sowie die westgermanischen Sprachen Englisch, Deutsch, Niederländisch (Flämisch), Afrikaans (Kapholländisch) und Friesisch. Die beiden Hauptvertreter der westgermanischen Sprachfamilie , das Englische und das Deutsche, sind dabei jeweils nicht aus einer einzelnen Stammessprache hervorgegangen, sondern stellen so etwas wie Mischsprachen dar, die durch ein Zusammenwachsen verschiedener germanischer Stämme entstanden sind. So ist das heutige Englisch aus den Mundarten der Angeln und der Sachsen hervorgegangen und hat seither eine ganze Reihe weitererEinflüsse erfahren. Auch das Deutsche ist als eine Verschmelzung von Sprachen einer größeren Zahl verschiedener Stämme anzusehen. Zu diesen Stämmen zählen neben anderen die Sachsen (als Angehörige der Nordseegermanen), die Alemannen und die Baiern (als Elbgermanen) sowie die Franken (als Weser-Rhein-Germanen). Es wird somit deutlich, dass sich das Deutsche nicht, wie in der sog. Stammbaumtheorie behauptet, in einer geraden Linie aus dem Germanischen oder gar aus dem Indoeuropäischen entwickelt hat.
    In der deutschen Sprache der Gegenwart sind noch manche Wörter germanischer Herkunft mehr oder weniger deutlich in ihrer ursprünglichen Form erhalten geblieben. Dies gilt unter anderem für die Bezeichnungen der Wochentage (zum Beispiel
Donnerstag
aus
Thor
, dem Namen des germanischen Wetter- und Donnergottes, oder
Freitag
aus
Freya
, dem Namen der germanischen Fruchtbarkeitsgöttin) oder für Eigennamen (wie
Adalbert
aus
adal
mit der Bedeutung ‹edel› und
bert
‹glänzend›; oder
Dietrich
aus
diot
‹Volk› und
riche
‹reich, mächtig›).
    Gerade das letzte Beispiel gibt nun Anlass, die Herkunft und die Entwicklung des Wortes
deutsch ein wenig näher zu betrachten. Der Ausdruck findet sich in rechtssprachlichen Texten seit dem Ende des 8. Jahrhunderts als
theodisca
(
lingua
) und setzt sich zusammen aus dem germanischen Wort
þeudō
‹Volk› und dem adjektivischen Suffix
-iska
, also ‹-isch›. Die entsprechende althochdeutsche Form
diutisk
dringt in die Sprache des Volkes jedoch nur langsam vor: Erst gegen Ende des 11. Jahrhunderts wird dieses Wort auch als Bezeichnung für Land und Leute verwendet – vor allem in Abgrenzung zu den romanisch (
frencisg
) sprechenden Franken im Westen (die ihrerseits das Wort
alemant
für Land, Leute und Sprache des östlich gelegenen Reiches einführen). Einen weniger aus- als vielmehr eingrenzenden, eigenständigen Sinn erhält das aus
diutisk
entstandene Wort
deutsch
dann erst in der Zeit des Humanismus um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, als im deutschen Sprachraum so etwas wie ein gemeinsames kulturelles Bewusstsein entsteht. Die im Nationalsozialismus unsäglich missbrauchte völkischnordische Überhöhung des Begriffs, die in der Zeit nach demZweiten Weltkrieg wiederum zu dessen starker Verengung geführt hat, ist dagegen erst eine Erscheinung des 19. und 20. Jahrhunderts.
    Die deutsche Sprache, die sich also in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends herausbildet, weist zahlreiche Eigenheiten gegenüber den anderen germanischen Sprachen auf. Hierzu gehören zahlreiche Besonderheiten im Bereich der Vokale und Konsonanten (wie vor allem die Zweite Lautverschiebung), die Entwicklung des Artikels aus Pronomen, die beginnende Herausbildung umschreibender Verbformen (etwa für das Passiv oder das Futur), die Einführung einer eigenständigen Schriftsprache sowie in der Dichtung der Wechsel vom Stabreim (bei dem Anfangslaute gereimt werden) zum Endreim. – All die genannten und einige weitere Erscheinungen sollen an dieser Stelle nicht im Einzelnen behandelt werden, sondern finden in den folgenden Kapiteln Berücksichtigung.
    Die Zweite Lautverschiebung wird oft auch als
hochdeutsche Lautverschiebung
bezeichnet. Dies gibt Anlass, hier auch die Verwendung des Wortes
hochdeutsch etwas näher zu betrachten. In der Sprache des
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