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Gesang des Drachen

Gesang des Drachen

Titel: Gesang des Drachen
Autoren: Claudia Kern
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kleine Menschenfrau besucht mich mit ihrem Haustier«, sagte Alberich. Blutspritzer bedeckten seine Rüstung. »Sehr freundlich, aber wenn es dir nichts ausmacht, werde ich auf Tee und Gebäck verzichten, mir deinen Greif nehmen und diesen Ort der Schande verlassen.«
    Er trat gegen den Stiefel einer toten Echse. »Ort der Schande für meine Soldaten natürlich, nicht für mich. Im Gegensatz zu ihnen habe ich alles für den Sieg getan. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest. Dein Gesicht ist wirklich das Letzte, was ich heute seh...«
    Nidi machte eine kurze Handbewegung. Alberich verstummte. Wie erstarrt stand er auf dem Schlachtfeld. Nur seine Augen verrieten, wie überrascht er war.
    Er steht unter einem Bann, dachte Laura und sah den Einzigen an, der ihn ausgesprochen haben konnte. Nidi?
    »Es reicht«, sagte der Schrazel. »Hier endet dein Weg.«
    Er schloss die Augen. Seine Gestalt flimmerte, wurde vor Lauras Augen plötzlich unscharf. Und dann veränderte sie sich. Sie wurde größer, breiter, mächtiger.
    Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. Aus dem kleinen, affenartigen Schrazel war ein Zwerg geworden! Er war so groß wie Alberich, hatte aber rotblondes, dichtes Haar, das zu zwei Zöpfen geflochten rechts und links seines Kopfes bis auf die Schultern hing. Der kunstvoll bearbeitete Helm, der darauf saß, rahmte ein Gesicht ein, das von einem langen, ebenfalls geflochtenen Vollbart beherrscht wurde. Augen, so blau und hart wie Diamanten, musterten Alberich.
    Die Rüstung, die Nidi trug, war aus Silber. Runen waren darin eingearbeitet. Laura glaubte ihre Macht zu spüren.
    »Du hast immer darauf beharrt, ein Zwerg zu sein«, murmelte sie wie betäubt. »Aber niemand hat dir geglaubt.«
    Nidis Mundwinkel zuckten, was unter dem Bart kaum zu sehen war, aber als er sprach, wandte er sich an Alberich.
    »Du hast meinen Bruder auf dem Gewissen«, sagte er mit tiefer, ausdrucksvoller Stimme. »Nye, der wachsende Mond, so, wie ich Nidi bin, der schwindende Mond. Und geschwunden bin ich, zur Gestalt eines kleinen Kellerkobolds, und du hast es nie gemerkt.«
    Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Odin hat mich ausgesandt, um dich für deine schändlichen Taten zu richten.«
    Alberich konnte wegen des Banns nicht antworten, aber in seinen Augen funkelte es. Ob Angst, Wut oder vielleicht sogar die Lust auf einen Kampf der Grund war, konnte Laura nicht sagen.
    Sie sah Nidi an.
    »Wer bist du?«, fragte sie leise.
    Er erwiderte ihren Blick. »Du hast dir die Antwort auf diese Frage verdient, Laura. Mein Bruder Nye und ich waren die Ersten in der Zwergenschar des Modsognir, der wiederum der erste und mächtigste aller Zwerge war. Alberich oder wie sein richtiger Name lautet, Regin, gehörte zur Horde von Durin, dem zweiten Zwerg. Als Odin bestimmte, dass Regin bestraft werden musste, beschloss er einen der Ersten zu schicken – mich. Und ich nahm diesen Weg gern auf mich, um meinen Bruder zu rächen.«
    Er streckte die Hand aus. »Wahrhaftig lange hat es gedauert. Ich werde es jetzt zu Ende bringen. Gib mir den Dolch, Laura.«
    Sie zog ihn aus der Gürtelscheide. Das war nicht mehr ihr Kampf, sondern der seine. Sie hatte geglaubt, Nidi zu kennen, doch nun verstand sie, dass sie nur eine Karikatur von ihm erlebt hatte. Der wahre Nidi wirkte ruhig, besonnen, aber auch entschlossen. Sie konnte sich niemanden vorstellen, dem sie den Dolch eher anvertraut hätte. Als ihr Blick auf den Dolch fiel, wurde ihr auf einmal etwas klar.
    »Girne«, sagte sie. »Das ist ein Anagramm von Regin. Das ist es also.«
    Nidi nahm ihr den Dolch aus der Hand. Als seine Finger ihn berührten, leuchtete die Klinge auf. Nach all der Zeit kehrte sie nun endlich zu ihrem wahren Besitzer zurück.
    »Das stimmt«, sagte Nidi. »Er wurde, wie ich dir bereits erzählte, unter meiner Anleitung eigens für Regin geschaffen. Nichts anderes auf dieser oder allen anderen Welten kann ihn endgültig töten.«
    Er lächelte, aber es lag keine Freude darin. »Und ich bin der Einzige, der ihn im rechten Moment zu führen vermag.«
    Einen Moment lang drehte er den Dolch zwischen den Fingern, dann nickte er Laura zu. »Bleib zurück. Es wird schnell gehen.«
    Er drehte sich um und ging auf Alberich zu. Vor ihm blieb er stehen und hob den Dolch. Die Strahlen der untergehenden Sonne brachen sich in der Klinge.
    »Für Nye«, sagte Nidi und stieß zu.
    Laura hörte ein Klirren, so als würden tausend Scheiben zerbrechen. Alberich blockte Nidis Stich
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