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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke
Autoren: W. Theodor Adorno
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vorübergehende Ungenauigkeit der Terminologie; sie wurzelt in den Sachen. Husserl kennt überhaupt
nur
intentionale Erlebnisse,
nur
Bewußtsein von etwas; die Inhalte, die symbolische Funktion besitzen, die »Teilerlebnisse der Klasse a« im Sinne der »Transcendentalen Systematik« 95 , werden zwar auch von ihm als »
gegenwärtiges Wissen
von Gegenständen, die nicht gegenwärtige Erlebnisse sind« 96 , verstanden; die »Teilerlebnisse der Klasse a« jedoch als
Bewußtsein von Dingen.
Vergebens wehrt Husserl sich gegen die Bilder- und Zeichentheorie 97 : wenn es bei ihm heißt, »die Dingwahrnehmung« vergegenwärtige »nicht ein Nichtgegenwärtiges, als wäre sie eine Erinnerung oder Phantasie; sie gegenwärtigt, sie erfaßt ein Selbst in seiner leibhaftigen Gegenwart« 98 , so ist dagegen anzumerken, daß in Wahrheit Bewußtsein von einem Dinge sehr wohl (und notwendig)
»Erinnerung«
voraussetzt – oder aber die Annahme einer vom Bewußtsein unabhängigen Existenz von Dinglichem. Um den Ansatz solcher dinglicher Transzendenz handelt es sich bei Husserl in der Tat, und es gilt auch gegen Husserl, was in der »Transcendentalen Systematik« gegen Franz Brentano gesagt ist: »Zu der ... falschen Voraussetzung« – daß auch für die unmittelbar gegebenen Inhalte noch »Akte« des »Erlebens« oder »Bemerkens« neben jenen Inhalten gegeben sein müßten – »hat wohl vor allem die schwer zu überwindende Neigung geführt, alle Gegenstände sofort zu
verdinglichen.
Für die Erkenntnis aller dinglichen Gegenstände ist in der Tat stets ein vermittelndes Erlebnis notwendig, weil diese Gegenstände ... ihrer Natur nach nur mittelbar gegeben sein können.« 99
    Die Supposition von dinglichem Sein verbirgt sich in der Unklarheit des Husserlschen
Wahrnehmungsbegriffs.
An keiner Stelle der »Ideen« ist gesagt, ob »Wahrnehmung« »Eindrucksbestandteile« oder »Vorstellungsbestandteile« unserer Erlebnisse bezeichne; die Bestimmung der »immanenten Wahrnehmung«, in deren Falle
»Wahrnehmung und Wahrgenommenes wesensmäßig eine unvermittelte Einheit«
100 bilden sollen, scheint auf Eindrucksbestandteile bezogen, ebenso der allerdings recht dunkelsinnige Satz, es könne »ein Wahrgenommenes selbst sehr wohl Bewußtseinserlebnis sein« 101 ; nur daß im Falle einer solchen »immanenten Wahrnehmung« die Scheidung von Wahrnehmung und Wahrgenommenem überhaupt überflüssiger-, ja sogar fälschlicherweise vollzogen wird, da doch
Existieren
und
Bemerktwerden
von unmittelbar Gegebenem das gleiche ist. Zudem aber stehen jene Sätze in offenbarem Widerspruch zu anderen Stellen der »Ideen«.
»Die Abschattung«
– d.h. die Wahrnehmung –
»ist prinzipiell nicht von derselben Gattung wie Abgeschattetes«
(d.h. Wahrgenommenes) 102 . Das könnte von »Vorstellungsbestandteilen« mit einigem Rechte gesagt sein, aber Husserl dürfte es keinesfalls allgemein von »Wahrnehmungen« sagen, denen er doch auch die Eindrucksbestandteile zuzählt. Hätte Husserl die Unterscheidung von immanenter und transzendenter Wahrnehmung konsequent durchgeführt, er wäre auf das Fundiertsein der letzteren in der ersteren gestoßen und hätte sich entschließen müssen, »Eindrucksbestandteile« und »Vorstellungsbestandteile« scharf zu sondern. Stattdessen aber koordiniert er immanente und transzendente Wahrnehmung als gleich selbständige Quellen der Erkenntnis. Dadurch macht er die Gegebenheit von
Dingen,
die auch nach seiner Auffassung (die fragwürdige Erweiterung des Wahrnehmungsbegriffs einmal hingenommen) nur in
transzendenter
Wahrnehmung, also in Erlebnisteilen der Klasse a gegeben werden, fälschlich zur
unmittelbaren
Gegebenheit. Bei Betrachtung von Husserls Beispielanalyse wird das völlig deutlich werden.
    Das »wahrnehmende Sehen und Betasten« eines vor mir liegenden Papiers soll »das volle konkrete Erlebnis
von
dem hier liegenden Papier« 103 sein. Was aber heißt hier »Wahrnehmen«? Nichts anderes als ein »Wiedererkennen der zweiten Kategorie«: »Der jetzige Eindruck wird als Bestandteil
einer von früher her bekannten Art von successiven Complexen
wiedererkannt, in welchen auf die Inhalte, die ihm im Sinne der ersten Kategorie« – d.h. ohne Rücksicht auf die Stellung der früheren Gegenstände im Zusammenhang weiterer Complexe – »ähnlich waren, noch bestimmte
andere
Inhalte nachgefolgt sind.« 104 Wiedererkennen aber, als »Tatsache der Erkenntnis der Ähnlichkeit eines Inhalts mit früher Gegebenem« 105 , ist
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