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Gesammelte Werke

Titel: Gesammelte Werke
Autoren: W. Theodor Adorno
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dinglichem Sein bei der Deskription der Erlebnisse nicht schon mitgesetzt ist; andernfalls begeht das Verfahren den logischen Fehler einer petitio principii, da ja das dingliche Sein gerade legitimiert werden soll. Der Vorwurf dieser petitio ist wider Husserl zu erheben. Durch den Vollzug der phänomenologischen epoxh wird daran – wie sich uns alsbald an den Sachen ergeben wird – nichts geändert. Die epoxh ist
»eine gewisse Urteilsenthaltung, die sich mit der unerschütterten und ev. unerschütterlichen, weil evidenten Überzeugung von der Wahrheit verträgt«
88 . Ob nun im Rahmen einer solchen Urteilsenthaltung oder in naiver Meditation die Existenz von dinglichem Sein bei der Bewußtseinsanalyse mit angesetzt wird, ist zum mindesten erkenntnistheoretisch gleichgültig. Daß der unzulässige Ansatz von dinglichem Sein bei Husserl tatsächlich sich findet, sollen die folgenden Untersuchungen bestätigen.
    Bewußtsein, als Thema phänomenologischer Forschung, nimmt Husserl »in einem prägnanten und sich zunächst darbietenden Sinne, den wir am einfachsten bezeichnen durch das Cartesianische
cogito,
das ›Ich denke‹. Bekanntlich wurde es von Descartes so weit verstanden, daß es mit umfaßt jedes ›Ich nehme wahr, Ich erinnere mich, Ich phantasiere, Ich urteile, fühle, begehre, will‹ und so alle irgend ähnlichen Icherlebnisse in den unzähligen fließenden Sondergestaltungen.« 89 Die Ausdrücke »cogitatio« und »Bewußtseinserlebnis überhaupt« sind bei Husserl gleichbedeutend gebraucht. Es darf zunächst außer Betracht bleiben, daß Husserl den Sinn des Terminus »cogito« später auf »Aktualitäten« einschränkt 90 , denn: »Wenn wir von dem ›Wissen vom gegenwärtigen Erlebnis‹ sprechen, so drücken wir nur mit anderen Worten aus, was wir auch meinen, wo wir einfach, vom gegenwärtigen
Dasein
dieses Erlebnisses (als des gegenwärtigen Teiles der zeitlichen Mannigfaltigkeit) sprechen. ... Es ist also nicht etwa das Wissen von dem gegenwärtig unmittelbar gegebenen Gegenstand noch als ein besonderer Teil des Erlebnisses
neben
diesem Gegenstand zu unterscheiden.« 91 Was Husserl nötigt, diese Scheidung in der Scheidung »aktueller« und »inaktueller« cogitationes dennoch vorzunehmen, wird sich ergeben. Einstweilen ist festzuhalten: Husserl gebraucht den Ausdruck cogitatio ebenso weit wie ihn Descartes gebraucht: als Titel für »Bewußtseinserlebnisse überhaupt«. Auch die »Teilerlebnisse der Klasse a« im Sinne der »Transcendentalen Systematik« heißen bei Husserl »cogitationes«.
    Zugleich aber heißen alle cogitationes »intentionale Erlebnisse«
. »Allgemein gehört es zum Wesen jedes aktuellen cogito, Bewußtsein
von
etwas zu sein. In ihrer Weise ist aber ... die
modifizierte cogitatio«
– d.h. das »inaktuelle« Erlebnis –
»ebenfalls Bewußtsein,
und
von demselben
wie die entsprechende unmodifizierte. Die allgemeine Wesenseigenschaft des Bewußtseins bleibt also in der Modifikation erhalten. Alle Erlebnisse, die diese Wesenseigenschaft gemein haben, heißen auch
›intentionale Erlebnisse‹
(Akte im
weitesten
Sinne der ›Logischen Untersuchungen‹); sofern sie Bewußtsein von etwas sind, heißen sie auf dieses Etwas
›intentional bezogen‹.
« 92 Dem widerspricht zunächst eine bald auf die angeführte folgende Stelle der »Ideen«: »Unter
Erlebnissen
im
weitesten Sinne
verstehen wir alles und jedes im Erlebnisstrom Vorfindliche; also nicht nur die intentionalen Erlebnisse, die aktuellen und potentiellen cogitationes, dieselben in ihrer vollen Konkretion genommen; sondern was irgend an reellen Momenten in diesem Strom und seinen konkreten Teilen vorfindlich ist.« 93 Wenn Husserl die Erlebnisse überhaupt in aktuelle und potentielle cogitationes eingeteilt hat,
alle
cogitationes aber unter dem Namen »intentionale Erlebnisse« befaßt: welche Erlebnisse sollen dann
nicht
»intentionale Erlebnisse« sein? Eindrucksbestandteilen jedenfalls kommt nach Husserl Intentionalität zu: »Der Problemtitel, der die ganze Phänomenologie umspannt, heißt Intentionalität. Er drückt eben die Grundeigenschaft des Bewußtseins aus, alle phänomenologischen Probleme, selbst die hyletischen« – die ›stofflichen‹, also etwa die Empfindungen –, »ordnen sich ihm ein. Somit beginnt die Phänomenologie mit Problemen der Intentionalität.« 94
    Die Doppeldeutigkeit der »cogitatio« als »Bewußtseinserlebnis überhaupt« und als »intentionales Erlebnis« ist keine
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