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Gerris Freunde als Detektive

Gerris Freunde als Detektive

Titel: Gerris Freunde als Detektive
Autoren: Tilde Michels
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Augen des Rektors waren wieder vor ihm.
    „Ist... ist das schon entschieden?“ stieß er heraus. Er hörte seine eigene Stimme kaum.
    Der Rektor betrachtete ihn eine Weile aufmerksam und schweigend. „Entschieden?“ wiederholte er dann langsam. „Nun, deshalb habe ich dich kommen lassen. Du warst bisher ein recht guter Schüler, und wir wollen dir noch eine Gelegenheit geben, deine Leistungen zu verbessern. Vier Wochen hast du Zeit — dann allerdings wird die Entscheidung fallen.“ Er stand auf und legte Gerri die Hand auf die Schulter. „Arbeite, Lohmann! Du kannst es noch schaffen.“ Und dann fügte er mit einer sehr freundlichen Stimme hinzu: „Wolltest du mir vielleicht etwas sagen?“
    Gerri hätte am liebsten geheult und sich alles von der Seele geredet, aber er fand kein einziges armseliges Wort. Hilflos schaute er zu Boden und schüttelte den Kopf. Da nickte ihm der Rektor aufmunternd zu und schob ihn zur Tür.
    Und dann stand Gerri auf dem langen Gang. Die Pause war zu Ende; die Schüler saßen schon in den Klassenzimmern, nur die Türen standen noch offen für die Lehrer. Gerri zog sich langsam am Treppengeländer hinauf in den ersten Stock. Alles an ihm war schwer wie Blei. In seinem Kopf rauschte es. Sitzenbleiben, er durfte doch nicht sitzenbleiben!
    „Ein bißchen schneller, Lohmann! Es hat schon zum zweiten Mal geläutet.“ Der Deutschlehrer wartete an der Türe, die Klinke in der Hand. Gerri schlüpfte eilig hinein und setzte sich an seinen Platz.
    „Was hat’s gegeben?“ fragte Max flüsternd, aber Gerri gab keine Antwort.
    Der Deutschlehrer hatte einen Stoß Zettel mitgebracht, die er verteilte. „Ich habe euch ein Gedicht aufgeschrieben. Ein Abendlied von Hermann Claudius. Ich lese es euch vor, und ihr werdet es bis zur nächsten Stunde auswendig lernen.“
    Das klang ganz harmlos, ganz natürlich. Ein Gedicht auswendig lernen, daran schien nichts Besonderes. Aber für Gerri war überhaupt nichts mehr harmlos, nicht einmal ein kleines Gedicht.
    Als der Deutschlehrer es vorlas, sank Gerri immer mehr in sich zusammen. Die Verse trafen ihn in der Seele.

    „Eh’ ich mich niederlege,
    vom Tage müd’ gemacht,
    schau’ ich noch einmal gerne
    auf in die dunkle Nacht.

    Ich seh’ den Mond aufsteigen
    und wink’ ihm freundlich zu.
    Und rings das tiefe Schweigen
    gibt meinem Herzen Ruh’.

    Ich geh’ in meine Kammer
    und lösch’ die Kerze aus.
    Und bin mit Mond und Sternen
    im großen Vaterhaus.“

    Gerri saß in seiner Bank und rührte sich nicht.
    Warum ausgerechnet dieses Abendlied? — Es war ein schrecklicher Tag; zuerst der Rektor, und dann dieses Gedicht. Gerri starrte auf die Verse, und als er später zu Hause versuchte, sie auswendig zu lernen, tropfen ihm dicke Tränen darauf.
    Am Abend dieses Tages stand Gerri lange Zeit am Fenster und schaute in den dunklen Himmel. „...Eh’ ich mich niederlege, vom Tage müd’ gemacht...“Er stand und wartete. Wartete auf ein Wunder. Aber das Wunder geschah nicht. Er konnte dem Mond nicht freundlich zuwinken, er wurde nicht müde, der Schlaf kam nicht zu ihm zurück.
    Dieses blöde Gedicht, dachte Gerri trotzig und scheuchte die Verse aus seinen Gedanken. Ich habe alles richtig gemacht. Die andern würden mich beneiden. Jawohl, beneiden.
    Und dann kletterte er aus dem Fenster, weil nämlich die Luft gerade rein war.
    Zuerst schlenderte Gerri durch die nächtlichen Straßen. Er las im Mondlicht die Namen auf den Türschildern, obwohl er ohnehin wußte, wie die Leute hießen; er machte mit seiner Steinschleuder Zielübungen auf Straßenschilder; er versuchte, eine Fledermaus zu fangen — aber eigentlich machte er das alles ohne Freude. Es war ja auch fad, immer so alleine. Wenn wenigstens Max dabei wäre oder Bernhard.
    „Ich werde sie wecken“, sagte sich Gerri. „Die freuen sich bestimmt, wenn sie mal ausreißen können.“
    Er lief nach dem Haus, wo Max wohnte, nahm seine Schleuder und richtete das erste Geschoß auf dessen Fenster.

    Fünfmal mußte er schießen, bis Max endlich am Fenster erschien. „Gerri, du?“ rief er und schwankte ein bißchen vor Müdigkeit. „Is... is was passiert?“
    „Komm ‘runter, spielen!“ rief Gerri gedämpft zurück.
    „Spielen?“ Max kam langsam zu sich. „Bei dir piept’s wohl? Mitten in der Nacht! So’n Quatsch. Laß mich schlafen.“ Und dann warf er einfach das Fenster zu und verschwand.
    Das war sein Freund Max! Ließ ihn einfach stehen. Schlüpfte wieder ins warme Bett.
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