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Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung
Autoren: Greg Iles
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in tiefe Depressionen gefallen, aus denen sie nur durch Glück wieder herausgefunden hatte. Therapie und Medikamente waren ihre Rettung gewesen. Im Gegensatz dazu war ich stets ein starker und entschlossener Mensch gewesen, wie schon mein Vater, und hatte mir alleine meinen Weg zurück ins Land der Lebenden erkämpft. Seit damals war kein Tag vergangen, an dem ich meine Frau und meine Tochter nicht vermisst hatte, doch die Tage des Weinens und Abspielens alter Videobänder waren vorbei.
    »Es ist nicht wegen Karen und Zooey«, sagte ich zu Rachel. »Bitte schließen Sie die Tür.«
    Sie blieb in der offenen Tür stehen, die Wagenschlüssel in der Hand, und es war offensichtlich, dass sie mir glauben wollte, auch wenn sie ebenso offensichtlich voller Skepsis war. »Was ist es denn?«
    »Meine Arbeit. Bitte schließen Sie die Tür!«
    Rachel schwankte; dann schloss sie die Tür und starrte mir in die Augen. »Vielleicht wird es Zeit, dass Sie mir von Ihrer Arbeit erzählen.«
    Dies war lange Zeit ein Punkt zwischen uns gewesen, über den wir uns gestritten hatten. Rachel betrachtete die Vertraulichkeit zwischen Arzt und Patient als heilig, und mein Mangel an Vertrauen schmerzte sie. Sie hielt meine Forderungen nach Diskretion und meine Warnungen, dass es gefährlich wäre, darüber zu sprechen, für einen Hinweis auf Wahnvorstellungen, in die ich mich geflüchtet hatte, um meine Psyche vor genauerer Betrachtung zu schützen. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Auf Verlangen der NSA hatte ich meine erste Sitzung bei Rachel unter falschem Namen gebucht. Doch bereits zehn Sekunden nach dem Händeschütteln erkannte sie mein Gesicht wieder, das auf dem Umschlag meines Buches abgedruckt war. Sie nahm an, meine Täuschung läge in der Paranoia einer medizinischen Berühmtheit begründet, und ich tat nichts, um ihr diesen Irrglauben zu nehmen.
    Nach einigen Wochen hatte meine beharrliche Weigerung, irgendetwas zu besprechen, das mit meiner Arbeit zu tun hatte – meine Neurose, sie »schützen« zu müssen, wie sie es nannte –, dazu geführt, dass sie Schizophrenie bei mir vermutete.
    Rachel konnte nicht wissen, dass meine Sitzungen bei ihr erst genehmigt worden waren, nachdem ich einen heftigen Disput mit John Skow ausgefochten hatte, dem Direktor von Project Trinity. Meine Narkolepsie war als Folge meiner Arbeit am Projekt entstanden, und ich benötigte professionelle Hilfe, wenn ich versuchen wollte, die damit einhergehenden Träume zu verstehen. Zuerst hatte die NSA einen Seelenklempner aus Fort Meade eingeflogen, einen pharmakologischen Psychiater,dessen Klientel sich hauptsächlich aus Technikern zusammensetzte, die Probleme mit chronischem Stress oder Depressionen hatten. Er hatte mich mit kleinen bunten Pillen abfüllen wollen, um anschließend herauszufinden, wie man ein international bekannter und veröffentlichter Arzt wurde wie ich. Als Nächstes hatten sie mir eine Frau gebracht, eine Expertin auf dem Gebiet von Neurosen, die sich entwickeln, wenn Menschen gezwungen werden, lange Zeit unter strengen Geheimhaltungsvorschriften zu arbeiten. Ihr Wissen über Traumdeutung war auf »ein wenig historische Literatur in der Assistenzzeit« beschränkt. Wie ihr Kollege zuvor wollte auch sie mir eine Batterie von Antidepressiva und Neuroleptika verordnen. Was ich in Wirklichkeit brauchte, war ein Psychoanalytiker, der Erfahrung in Traumdeutung besaß, und die NSA hatte keinen. Ich telefonierte mit einer Reihe von Freunden an der Uni und fand heraus, dass Rachel Weiss, die bedeutendste jungianische Analytikerin des Landes, an der Duke University unterrichtete, keine fünfzehn Meilen vom Trinity Building entfernt. Skow wollte mir verbieten, sie aufzusuchen, doch schließlich sagte ich ihm, er müsse mich schon ins Gefängnis stecken, um das zu verhindern, und bevor er das versuchte, sollte er den Präsidenten anrufen, der persönlich dafür verantwortlich war, dass ich am Project Trinity mitarbeitete.
    »Irgendwas ist passiert«, sagte Rachel. »Haben die Halluzinationen sich erneut verändert?«
    Halluzinationen?, dachte ich bitter. Wieso spricht sie nie von Träumen?
    »Sind sie intensiver geworden? Oder persönlicher? Haben Sie Angst?«
    »Andrew Fielding ist tot«, sagte ich mit ausdrucksloser Stimme.
    Rachel blinzelte. »Wer ist Andrew Fielding?«
    »Er war Physiker.«
    Ihre Augen weiteten sich. »Andrew Fielding, der Atomphysiker, ist tot?«
    Es war ein Zeichen für Fieldings Berühmtheit, dass eine Medizinerin, die
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