Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geraubte Erinnerung

Geraubte Erinnerung

Titel: Geraubte Erinnerung
Autoren: Greg Iles
Vom Netzwerk:
zusammen mit dem Brief durch den Spalt. Dann unterschreibe ich und gebe Ihnen den Block anschließend zurück.«
    »Es ist ein digitales Pad. Ich darf es nicht aus der Hand geben.«
    »Dann behalten Sie es in der Hand.«
    »Verrückt«, murmelte der Bote, doch er schob den dicken orangefarbenen Apparat durch den Spalt.
    Ich nahm den Stylus, der am Ende einer Schnur von dem Pad baumelte, und kritzelte meinen Namen auf den Touchscreen. »Okay.«
    Das Pad verschwand, und ein FedEx-Umschlag wurde unter der Tür durchgeschoben. Ich nahm ihn und warf ihn hinter mir aufs Sofa. Dann schloss ich die Tür und wartete, bis ich hörte, wie der Motor des Lieferwagens angelassen wurde und das Fahrzeug sich in Bewegung setzte.
    Ich ging zum Sofa und nahm den Umschlag in die Hand. Lewis Caroll, stand in der krakeligen Handschrift Fieldings im Absenderfeld. Als ich das Blatt Papier aus dem Umschlag zog, rieselte eine körnige, weiße, haftende Substanz heraus und blieb an meinen Fingern kleben. Im gleichen Augenblick, in dem meinHirn die Farbe registrierte, flüsterte eine Stimme in meinem Hinterkopf: Anthrax! Die Chance dafür war sehr gering, doch vor wenigen Stunden war mein bester Freund unter verdächtigen Umständen gestorben. Ein gewisses Maß an Paranoia war mehr als gerechtfertigt.
    Ich eilte in die Küche und schrubbte meine Hände mit Spülmittel und Wasser. Dann nahm ich einen schwarzen Arztkoffer aus dem Schrank. In dem Beutel lagerten die üblichen Arzneimittel, die jeder Arzt zu Hause aufbewahrte: Schmerzmittel, Antibiotika, Brechmittel, Steroidcremes. In einem Fach fand ich, wonach ich gesucht hatte. Einen Blister mit Cipro, einem starken Breitband-Antibiotikum. Ich schluckte eine Pille mit ein wenig Wasser aus der Leitung, dann nahm ich ein Paar Latexhandschuhe aus dem Koffer. Als letzte Vorsichtsmaßnahme band ich mir ein schmutziges T-Shirt aus dem Wäschekorb vor Mund und Nase. Dann erst nahm ich den Umschlag sowie den Brief und packte sie in verschiedene Ziploc-Beutel, klipste sie zu und legte sie auf die Arbeitsfläche.
    So sehr ich darauf brannte, Fieldings Brief zu lesen, ein Teil von mir widersetzte sich. Was in dem Brief stand, hatte Fielding möglicherweise das Leben gekostet. Und selbst wenn nicht – wozu sollte es gut sein, dass ich den Brief las?
    Sorgfältig saugte ich die kleinen weißen Kügelchen vom Teppich im Wohnzimmer auf, während ich mich fragte, ob ich mich vielleicht getäuscht hatte und Fielding eines natürlichen Todes gestorben war. Er und ich hatten uns gegenseitig hochgeschaukelt in ein Stadium akuten Misstrauens gegen alles und jeden. Andererseits hatten wir allen Grund dazu gehabt. Und der Zeitpunkt von Fieldings Tod war zu verdammt passend. Statt den Staubsauger zurück in den Schrank zu stellen, ging ich zur Hintertür und warf das Ding in hohem Bogen in den Hof. Ich konnte mir jederzeit einen neuen kaufen.
    Der Brief auf dem Küchentresen ging mir nicht aus dem Kopf. Ich fühlte mich wie die Frau eines Soldaten, die sich weigert, ein Telegramm der Army zu öffnen. Doch ich wusstebereits, dass mein Freund tot war. Wovor fürchtete ich mich also noch?
    Vor dem Warum, antwortete eine Stimme in meinem Kopf. Fieldings Worte. Du willst den Kopf weiter in den Sand stecken. Das ist der amerikanische Nationalsport …
    Mehr als nur ein wenig verärgert, dass der Tote genauso lästig sein konnte wie der Lebende, nahm ich den Beutel mit dem Blatt und ging damit ins Wohnzimmer. Der Brief war kurz und handgeschrieben.
    David,
    wir müssen uns noch einmal treffen. Ich habe Godin endlich mit meinen Vermutungen konfrontiert. Seine Reaktion hat mich überrascht. Ich will nichts auf Papier niederschreiben, aber ich weiß nun, dass ich Recht habe. Lu Li und ich fahren Samstagabend zu der blauen Stelle. Bitte komm ebenfalls. Es liegt ganz in der Nähe, und es ist verschwiegen. Vielleicht ist es an der Zeit, dass du dich noch einmal mit dem Freund deines verstorbenen Bruders in Verbindung setzt, obwohl ich bezweifle, dass selbst er zu diesem Zeitpunkt etwas unternehmen kann. Dinge wie diese besitzen eine Schwungkraft, die jedes Individuum vernichten kann. Die gesamte Menschheit, fürchte ich. Falls mir irgendetwas zustoßen sollte, dann vergiss bitte nicht das kleine goldene Ding, das für mich aufzubewahren ich dich vor einer Weile gebeten habe. Es sind verzweifelte Zeiten, Freund. Wir sehen uns am Samstag.
    Der Brief war nicht unterschrieben, doch am Ende des Blatts war ein handgezeichneter Cartoon,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher