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Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Titel: Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg
Autoren: Kathrin Fischer
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überrascht, als sie uns sahen, so wohlgekleidet und gut ausgebildet, aber wir wollten einfach mal wissen, wie es ist. Vom Reihenhaus zum Filterkaffee der evangelischen Beratungsstelle.« Der Ausflug der beiden war kurz, aber prägend. Sofort nachdem Jörg eine neue, wenn auch deutlich schlechter bezahlte Stelle gefunden hatte, nahmen sie einen Kredit auf – was nur ging, weil im Arbeitsvertrag keine Probezeit eingetragen war. Mit diesem Kredit bauten sie Annas Elternhaus um, in dem sie nun leben. Und achten streng darauf, dass die monatliche Kreditrate nicht zu hoch ausfällt: »Wir wollten damit einfach der Hartz-IV-Falle entgegenwirken, damit wir, falls wir abstürzen, ein Dach über dem Kopf haben, das uns kein Sozialamt nehmen kann. Der Satz, den wir zahlen, um das Haus zu halten, ist so niedrig, dass wir hier selbst mit Hartz IV wahrscheinlich nicht rausmüssen. Das war die Rechnung.«
    Mit dem Firmenwagen besitzt die Familie zwei Autos. Die Kinder gehen auf eine Waldorfschule, lernen Instrumente. Das Haus – Anna ist schließlich Architektin – ist geschmackvoll umgebaut und eingerichtet. Eine bürgerliche Idylle, gebaut auf einem Fundament aus Angst. Der Angst vor Arbeitslosigkeit, der Angst, doch noch in eine 70 Quadratmeter große Sozialwohnung mit den Kindern ziehen zu müssen. Dennoch immerhin haben die beiden ein Elternhaus, das sie umbauen konnten, immerhin gibt es einen Acker, der noch verkauft werden könnte, immerhin konnte Jörg noch etwas Geld aus dem Verkauf seiner ersten Firma in den Umbau des Hauses stecken. Ins Nichts fallen die beiden nicht. Doch die Erfahrung der überraschenden Arbeitslosigkeit sitzt tief. »Zu sehen, es hat noch nicht mal was mit dir zu tun, es kann jeden treffen, dass du keinen Job mehr hast. Das geht fast schon in Richtung Panik. Das ist auch keine Wut, denn dazu bräuchte man ja ein Gegenüber, das schuld ist und worauf man seine Wut richten könnte. Es ist Angst.« Im Freundeskreis, sagt Anna, sieht es ähnlich aus: »Viele leben mit der Unsicherheit. Ganz zufrieden sitzt da keiner auf seinem Stuhl.«
    An Unzufriedenheit stirbt man nicht, würde vermutlich mein Kollege Erich kühl bemerken. Er hat ein paar Jahre lang in Osteuropa gearbeitet und weiß, was echte Armut bedeutet. Aber auch wenn er die Abstiegsängste anderer Leute nicht teilt, so beobachtet er sie doch – beispielsweise an den Nachbarn in seiner Reihenhaussiedlung oder bei Freunden. »Es ist so, dass fast alle unsere Freunde nicht so viel erreichen wie ihre Eltern. Es ist kein Absturz, aber wenn die Eltern auf dem Niveau gelebt haben, dann sind die Kinder möglicherweise etwas darunter. Viele unserer Freunde kriegen alle sehr viel Geld von ihren Eltern und haben selber Kinder. Es ist aber klar, dass keiner von denen in der Lage sein wird, seinen Kindern so viel zu geben, wie er selber von seinen Eltern bekommen hat. Da ist schon ein Abstieg da. Sie selber halten ihren Lebensstandard nicht mehr aus eigener Kraft.« Unsere Eltern, sagt Erich, haben mit schlechteren Ausgangsbedingungen mehr erreicht als wir heute. Was, wie er einräumt, an den veränderten Verhältnissen liegt. »Wir müssen uns mehr anstrengen, um weniger zu erreichen.« Weil die meisten sich mit dem Weniger aber nicht zufriedengeben wollen, »lebt da eine ganze Generation über ihre Verhältnisse«.
    Das sind die Mitglieder der Generation Laminat, deren Eltern dafür sorgen können und wollen, dass der Nachwuchs auf Parkett wohnen kann. »Die meisten, die wir kennen«, analysiert Erich, »haben einen Lebensstil, den sie selbst nicht finanzieren können, sondern der nur funktioniert, weil sie immer noch, auch mit 40, von ihren Eltern kofinanziert sind.«
    Es sind die Eltern der Generation Laminat, die große Batzen der Hauskredite bezahlen oder zumindest als Bürgen bei der Bank auftreten. Auch meine Freundin Anna muss sich heute nur deshalb über Wärmepumpe und Rosenstockverpflanzung den Kopf zerbrechen, weil sie das Haus ihrer Mutter umbauen konnte. »Wir hatten das Glück, dass es dieses Haus überhaupt gab, weil wir uns das aus eigener Leistung nie hätten ermöglichen können.« Das gab es ja einfach schon durch meine Mutter. Die Generation, die es irgendwie bewahrt hat.
    Die Generation, die es bewahrt hat, gibt es weiter an ihre Kinder, die ihren Lebensstil immer seltener aus eigener Leistung ermöglichen können. Mal tausend Euro zusätzlich für den Urlaub, mal ein Fahrrad für die Tochter – in vielen Familien wird jährlich
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