Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg

Titel: Generation Laminat - mit uns beginnt der Abstieg
Autoren: Kathrin Fischer
Vom Netzwerk:
ein kleines zusätzliches Gehalt von den Großeltern an die Eltern weitergereicht
    »Eigentlich bleibst du da ein Leben lang ein Kind«, resümiert Erich die psychischen Folgen dieser Lebensführung. Doch warum ist sie überhaupt nötig geworden? Warum liegen auch jemandem wie Sandra Stolpersteine im Weg? Sandra, die selbstsicher und entspannt 2002 ein sehr gutes Abitur gemacht hatte, fand, wie viele andere, zunächst keinen Studienplatz. »Das war das erste Mal, dass ich merkte, das geht ja doch nicht so einfach weiter. Meine Eltern hatten das so nicht erlebt.« Sandra ist keine, die über ihre Verhältnisse lebt. Noch nicht. Sie ist dreißig und in der journalistischen Ausbildung. Da nimmt man Einkommenseinbußen als vorübergehende Investition in die eigene glorreiche Zukunft noch hin. Doch die Zukunft hat sich widerspenstig gezeigt. Die erste Hürde – einen Studienplatz zu bekommen – war nicht die letzte. Nach dem Studium musste sie Hartz IV beantragen. »Es ist schon ein komisches Gefühl, aber ich fand es nicht so schlimm, weil ich viele Leute kannte, die das nach dem Studium machen mussten. Wenn du nicht mehr als Student versichert bist, kriegst du es in Berlin einfach nicht mehr hin, dich mit einem normalen Job über Wasser zu halten. Das ist wirklich nicht so einfach.«
    Vieles ist nicht mehr so einfach wie damals, als unsere Eltern uns an den Startblock gesetzt haben. »Du musst für dein Alter vorsorgen, du musst zurücklegen, um deine Kinder studieren zu lassen, du musst vielleicht irgendwann deine Eltern pflegen – da kommt was auf uns zu«, sorgt sich auch meine Kollegin Maren über die Belastungen, die sie zu tragen hat. Es sind neuartige Belastungen, wie der Soziologe Berthold Vogel betont. »Man wird doch immer stärker eingebunden in die Finanzierung dieser Dinge, die doch in der Vergangenheit, und damit ist ja eine bestimmte Generation groß geworden, eigentlich selbstverständlich vorhanden waren.«
    »Ich glaube, wenn unsere Eltern heute so alt wären wie wir, dann würden die nichts haben, die würden komplett untergehen«, ist Erich angesichts der vielen gesellschaftlichen Veränderungen überzeugt.
    Tatsächlich sieht momentan alles danach aus, dass die jetzt heranwachsende Generation durchschnittlich weniger günstige Lebensumstände als ihre Eltern zu erwarten hat.
    Es gibt viele Indizien, die darauf hindeuten, dass wir nach einer langen Periode der Aufstiegsmobilität in eine der Abstiegsmobilität geraten sind 27 : »Die Eckpfeiler der sozialen und wirtschaftlichen Existenz der Mittelklasse, die Familie, die Bildungslaufbahn, die Erwerbsarbeit und der Beruf, aber auch der Wohlfahrtsstaat verlieren an struktureller Festigkeit.« 28
    27 Robert Castel: Die Krise der Arbeit, S. 10
    28 Berthold Vogel: Wohlstandskonflikte, S. 10
    Sandra drückt es so aus: »Man hat schon das Gefühl, die goldenen Jahre sind vorbei.«
    Aber für wen eigentlich genau?

Überlebensstrategien
    »Ich sehe nicht, dass sich da was verändert«
    Das erste Mal in Erwägung gezogen, ein Buch zu schreiben, habe ich nach dem Geburtstagsbrunch einer Freundin, bei dem ich Franz Segbers kennenlernte. Er ist Professor für Sozialethik und ein linker, altkatholischer Theologe. Er kämpft gegen soziale Ungerechtigkeit auf Grundlage der christlichen Soziallehre, die mir bis dahin eher nebulös als Begriff vertraut war – immerhin habe ich einige Jahre meines studienbedingten Wohngemeinschaftslebens mit einem evangelischen Befreiungstheologen verbracht, den ich beim »Bibel-Quiz« regelmäßig schlug. (Meine ausgezeichnete Bibelkenntnis beruhte auf dem 1987 bei Tschibo erworbenen Band Die Bibel in Bildern.)
    Franz Segbers und ich gerieten in eine Diskussion über die Veränderungen der gesellschaftlichen Architektur der letzten Jahre, die mich elektrisierte. Bis zu dieser Diskussion war ich lediglich auf eine vage Weise zunehmend unruhig geworden – Wachmänner im Supermarkt, Geländelimousinen auf den Straßen und immer mehr Altglas sammelnde Alte hatten in mir eine Sorge über den sozialen Frieden ausgelöst, die einige meiner Freunde als blanke Hysterie abtaten. Oder sie befremdete. »Wenn du so denkst«, hatte Anna zu mir während eines gemeinsamen Wellness-Wochenendes gesagt, »dann musst du auswandern.« Himmel, hatte ich gedacht, soll das die Lösung sein? Und wohin denn? Bis auf Norwegen schienen alle Gesellschaften von dieser Dynamik der Entsolidarisierung ergriffen zu sein. »Und nach Norwegen«, sagt Helga, »darf
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher