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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal
Autoren: Jörg Blech
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statistischen Trick, die winzigen Effekte zu einem großen Effekt zu verrechnen: So kommt man auf das berüchtigte Gen für Y.
    Die Gründe für dieses Aufbauschen lägen auf der Hand, sagt Peter Kraft mit einem Anflug von Resignation: »Wissenschaftler sind nicht gegen Druck gefeit, ihre Ergebnisse übertrieben darzustellen, um häufiger zitiert zu werden und Forschungsgelder einzutreiben.«
    Den gleichen Eindruck hat John Ioannidis von der Universitätsklinik im griechischen Ioannina gewonnen. Der schnauzbärtige Epidemiologe durchschaut die Rechentricks der Statistik und kommt so zu erhellenden Erkenntnissen wie der, dass »die meisten entdeckten Assoziationen aufgeblasen« sind. In einer seiner kritischen Bestandsaufnahmen hat John Ioannidis sämtliche verfügbaren genomweiten Assoziationsstudien zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen ausgewertet. Bis zum Stichtag ( 20 . September 2008 ) hatten Forscher 95 verschiedene Assoziationen angehäuft. Ioannidis prüfte davon nun jene 28 Zusammenhänge, die statistisch noch am besten abgesichert waren. Es ging um genetische Assoziationen, die Forscher für Herzinfarkt, Arteriosklerose, Körpergewicht, Blutfette, Typ- 2 -Diabetes mellitus und die Nikotinsucht gefunden haben wollten.
    Die Zusammenhänge mochten mathematisch »signifikant« sein – einen praktischen Nutzen haben sie nicht. John Ioannidis drückt es so aus: »Verbesserungen in der Vorhersage, die auf den derzeit verfügbaren Markern beruhen, sind klein, wenn sie denn überhaupt vorhanden sind. Ein klinisches Omen ist noch nicht ausreichend abgesichert. Obwohl man sich über die neuen Möglichkeiten für mehr Entdeckungen begeistern könnte, kann man es gegenwärtig nicht rechtfertigen, diese Marker in der täglichen klinischen Praxis und in der Gesundheitsvorsorge einzusetzen.«
    Vor kurzem war es das Kettenraucher-Gen, das Aufsehen erregte. In gleich drei Studien mit mehr als 140   000 Menschen glauben Forscher eine biologische Wurzel für das Qualmen gefunden zu haben: Die Gene würden entscheiden, wie viele Zigaretten sich ein Mensch am Tag ansteckt. [7] Rauchen sei ein »genetisch bedingtes Laster«, »Gene geben den Rauchern den Takt vor«, »Forscher finden Kettenraucher-Gen« und »Gene schuld an Rauchverhalten« – diese Schlagzeilen haben die Runde gemacht. Nachfragen bei einem der beteiligten Wissenschaftler, beim Mediziner Hans-Jörgen Grabe von der Universität Greifswald, ergeben ein anderes Bild. Entscheiden die Gene, ob ein Mensch zum Raucher wird? »Bei aller Liebe«, räumt Grabe ein, »da hat man wohl nichts gefunden.« Was ist mit dem Einfluss der Gene auf die Menge der täglich gerauchten Zigaretten? Hier verweisen die Forscher auf einen »signifikanten« Effekt: Wer zwei bestimmte Genvarianten (von Mutter und Vater) hat, der raucht am Tag  0 , 75  Zigaretten mehr als ein Mensch mit einer dieser Varianten und 1 , 5  Zigaretten mehr als ein Mensch ohne »Risiko-Varianten«. Dieses Ergebnis ist ein Witz: Zwei Raucher haben in der Kneipe jeweils zwei Schachteln weggequalmt. Der eine drückt die letzte Kippe aus, der andere hingegen öffnet eine weitere Schachtel, zündet noch Zigarette Nummer  41 an, raucht sie und sagt entschuldigend: »Was soll ich machen? Ich habe doch dieses blöde Kettenraucher-Gen.«
    Auf der Suche nach der fehlenden Erblichkeit
    Dass die jeweiligen Assoziationen so gut wie keine praktische Bedeutung für unsere Gesundheit haben, hat zwei Gründe: Zum einen hängen etliche Krankheiten und Eigenschaften mit überraschend vielen biologischen Faktoren zusammen, d.h. mehrere Assoziationen könnten für ein bestimmtes Leiden verantwortlich sein. Bei Morbus Crohn, einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung, glauben Forscher inzwischen mehr als 30  Assoziationen gefunden zu haben, für Typ- 2 -Diabetes mellitus sind es 20 , für die Körpergröße reicht die Zahl mittlerweile an die 50 , für die Schizophrenie könnten es Hunderte sein. Doch mit der Zahl der Assoziationen nimmt ihre biologische Bedeutung ab: Je mehr es von ihnen gibt, desto kleiner ist ihre jeweilige Rolle. Umgekehrt steigt die Bedeutung der Umwelt. Auch das zeigt, wie irreführend die Bezeichnung »Krankheitsgene« für diese Assoziationen ist. Im Gegenteil: Sie sind nämlich derart häufig in der Bevölkerung verbreitet, dass die hinter diesen Assoziationen vermuteten Gene wohl eher zur genetischen Normalausstattung des Menschen gehören.
    Zweitens können die bisher gefundenen Assoziationen nur
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