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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal
Autoren: Jörg Blech
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Statistik lügen kann – das hat den jungenhaft wirkenden Forscher zum Skeptiker gemacht.
    Als er auf der ersten Seite der
New York Times
einen Artikel über die Studie zu den 2149 schwedischen Männern mit Prostatakrebs entdeckte, war das Misstrauen des Peter Kraft geweckt, und er las sich die Originalarbeit im
New England Journal of Medicine
durch.
    Dass die Daten redlich erhoben wurden und so weit stimmen, daran mag Kraft gar nicht zweifeln. Aber aufgefallen ist ihm, wie geschickt die Autoren ihre Zahlen präsentieren – damit die von ihnen gefundenen Gene für Prostatakrebs als besonders bedeutsam und bedrohlich erscheinen. Dazu haben sie diejenigen schwedischen Männer, die gar keine der angeblichen Risikogene tragen, ganz bewusst mit jenen Männern verglichen, die vier oder fünf Assoziationen haben. Nur indem sie diese beiden extremen Gruppen miteinander vergleichen, kommen die Forscher auf die Risikoerhöhung um den Faktor vier bis fünf.
    Über die Männer mit ein, zwei oder drei Assoziationen breiten sie dagegen den Mantel des Schweigens – dabei fallen die allermeisten Männer in der Normalbevölkerung genau in diese Kategorie. Rund 90  Prozent der männlichen Europäer haben nämlich eine, zwei oder drei dieser Assoziationen – und die Risikounterschiede zwischen diesen Gruppen sind denkbar gering. Umgekehrt macht die angebliche Risikogruppe – also Männer mit vier oder fünf der Genvarianten – gerade einmal zwei Prozent aller untersuchten schwedischen Männer aus. »Auf die übergroße Mehrheit der Männer trifft das erhöhte Risiko also gar nicht zu«, sagt Peter Kraft.
    Die Geschichte von den Prostatakrebs-Genen klingt jetzt nicht mehr nach einer Enthüllung über den Fluch der Biologie, sondern sie erinnert eher an das Märchen »Des Kaisers neue Kleider« des dänischen Schriftstellers Hans Christian Andersen. Darin versprechen zwei Betrüger dem Kaiser Gewänder, die nicht nur wunderschön sind, sondern auch eine geheimnisvolle Eigenschaft haben: Sie seien jedem Menschen unsichtbar, der nicht für sein Amt tauge oder unverzeihlich dumm sei. Der eitle Kaiser verschweigt, dass er die Gewänder gar nicht sehen kann, weil er nicht als Dummkopf dastehen will. Ebenso verhalten sich sein alter Minister und andere Untertanen. Am Ende ist es ein Kind, das ausruft: Aber er hat ja gar nichts an!
    Mit Blick auf die X-ist-ein-Gen-für-Y-Forschung werden jetzt Stimmen laut, die da rufen: An den Befunden ist in Wahrheit ja nichts dran!
    Die Kritik richtet sich freilich nicht gegen die Erforschung der sogenannten monogenen Leiden. Keine Frage, bei ihnen hängt ein bestimmter Gendefekt eindeutig mit zum Teil schweren Symptomen zusammen. Es gibt mehr als 7000 dieser monogenen Erbkrankheiten, wobei ihre Verbreitung in der Bevölkerung (Prävalenz von etwa vier Prozent) gering ist.
    Nein, die Rufer stoßen sich an den Ergebnissen aus der Erforschung der sogenannten polygenen Krankheiten; Volksleiden, die mit einer ganzen Fülle von Faktoren zusammenhängen. Die allermeisten Assoziationen, die der Öffentlichkeit als Krankheitsgene dargeboten werden, entpuppen sich bei näherer Betrachtung als jedoch geschickte und klinisch unbedeutende Hervorbringungen der Statistik. Dass Forscher Risikogene gefunden hätten, die diese Bezeichnung auch verdienen, beschränkt sich auf wenige Beispiele, die man an einer Hand abzählen kann.
    Noch einmal: Niemand bestreitet die Rolle der Gene. Bei den monogenen Leiden führt der Ausfall oder die Mutation eines bestimmten Gens zum Ausbruch einer Krankheit. Um diese Erbleiden geht es hier ebenso wenig wie um jene wenigen Risikogene, die diese Bezeichnung verdienen:
brca
1
oder
brca
2
erhöhen das relative Risiko, an Brustkrebs zu erkranken, um das Drei- bis Siebenfache. Und das
apoe
4
-Gen erhöht das Alzheimer-Risiko um das 3 - bis 15 fache.
    »Die Forscher gingen davon aus, noch viel mehr Gene mit einer ähnlich großen Bedeutung zu finden«, sagt Peter Kraft in seinem Büro und nippt an seinem Kaffee. Stattdessen hätten sie bloß einen Wust von vielen hundert Assoziationen zusammengetragen, die statistisch kaum nachweisbar sind: Die relative Risikoerhöhung liegt nicht in der Größenordnung von 10  – sondern meist nur bei 1 , 1 . Diese äußerst schwachen Assoziationen werden oft als »Gene« bezeichnet, obwohl sie nur Abschnitte im Erbgut beschreiben, auf denen möglicherweise Gene liegen könnten. Das Hochspielen der mauen Befunde geschieht dann etwa mit dem
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