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Gene sind kein Schicksal

Gene sind kein Schicksal

Titel: Gene sind kein Schicksal
Autoren: Jörg Blech
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Findet sich ein auffälliges SNP , so die Überlegung der Molekularbiologen, dann müsste in der Nähe dieser Wegmarke ein Gen liegen, das mit der jeweiligen Erkrankung zusammenhängt. Diese mathematischen Häufungen nennen sie »Assoziationen«. Die Erwartung ist, dass auf assoziierten DNA -Abschnitten Gene liegen, die für Volkskrankheiten wie Herzinfarkt, Alzheimer, Krebs und krankhaftes Übergewicht verantwortlich sind. Am Ende könnte man das Erbgut eines beliebigen Menschen testen und ihm mitteilen, welche Assoziationen er hat und inwiefern sie sein persönliches Krankheitsrisiko beeinflussen. Das ist die Vision der personalisierten Medizin: Wenn ein Mensch seine persönliche Erblast erst einmal kennt, dann können Ärzte mit maßgeschneiderter Vorsorge und zielgerichteter Therapie dagegen angehen.
    Das Erbgut von Abertausenden Menschen haben die Genforscher bereits durchgesehen, und es sind die Früchte dieser Großanstrengung, die gegenwärtig die medizinischen Fachblätter füllen und den Eindruck erwecken, die Genforscher hätten ihr Heilsversprechen einlösen können. Mehr als 850   DNA -Assoziationen haben sie ausgemacht, die angeblich mit mehr als 70 häufigen Krankheiten zusammenhängen. [4] »Eine erfolgversprechende Methode hält weltweit Einzug in die Labore der Humangenetiker und genetischen Epidemiologen«, sagen Mitarbeiter der Technischen Universität München, die an der Suche nach den Genen für Vorhofflimmern beteiligt sind. »In genomweiten Assoziationsstudien identifizieren sie Gene, die das Risiko für Volkskrankheiten erhöhen« – für die Gelehrten »ein Forschungsansatz mit Erfolgsgarantie«. [5]
    Mit Erfolg kann klinischer Nutzen allerdings nicht gemeint sein, sondern wohl eher die Kunst, das Datenmaterial so lange zu bearbeiten, bis ein statistisch relevant erscheinender Zusammenhang herauskommen mag. Es ist nur eine Frage der Mathematik, eine Assoziation herbeizuzaubern, die dann in der Öffentlichkeit das Gen der Woche abgibt. Ein Blick in Tageszeitungen und Nachrichtenportale offenbart, wie lustvoll Journalisten mitmachen, wenn es gilt, die vermeintlichen Fundstücke der Genforscher im Volk bekannt zu machen. So gibt es angeblich das Gen
    für Herzinfarkt,
für Übergewicht,
für unruhige Beine,
für Legasthenie,
für ADHS ,
für Haarausfall,
für vorzeitiges Altern,
für weiblichen Bauchspeck,
für Schweißgeruch,
für Narkolepsie (Schlummersucht),
für das biologische Altern,
für Gallensteine,
für Verfolgungswahn,
für Transsexualität,
für Treue,
für Langzeitgedächtnis,
für drei Prozent Intelligenz,
für Starrsinn,
für schlechtes Autofahren.
    Es ist eine Liste, die sich nach einer einfachen Formel verlängern lässt: »X ist ein Gen für Y.« Für das X setzte man einen Abschnitt aus dem menschlichen Erbgut ein; für das Y greife man sich ein Syndrom aus dem Füllhorn der Erkrankungen und Verhaltensweisen heraus, wie etwa Fettsucht, Depression, Untreue, sexuelle Vorlieben, Stressanfälligkeit, Alkoholsucht oder Schizophrenie.
    Im Laienpublikum treffen die simplen Erklärungen aus den Laboratorien der Genetiker einen Nerv. Eine bekannte TV -Moderatorin und erfolgreiche Autorin führt die kreative Neigung in ihrer Familie auch auf biologische Faktoren zurück. Offenbar »werden die Gene irgendwie doch weitergegeben«, sagt sie in einem Zeitungsinterview und bekräftigt: »Aber ich glaube schon, dass da auch Vererbung dazukommt, dass da bestimmte Talente weitergegeben werden.« [6] In der Sportpsychologie werden Sieg und Niederlage immer häufiger mit angeborenen Eigenschaften erklärt. »Ich habe aber vor dem Spiel gespürt, dass jeder das Sieger-Gen in sich hat«, sagt der Trainer der Fußballnationalmannschaft nach einem wichtigen Sieg.
    Gene werden aufgebauscht
    Wenn Ihnen bei dem einen oder anderen Beispiel vielleicht doch Zweifel gekommen sein sollten, dann stehen Sie nicht alleine da. Wissenschaftlern ergeht es mittlerweile ähnlich, und sie haben sich die Mühe gemacht, die ein oder andere Behauptung der Genforscher gründlich zu prüfen. Einer von ihnen arbeitet an der Harvard School of Public Health. Der Mann heißt Peter Kraft. Er verdankt seinen Namen Vorfahren aus Deutschland und hat an der University of Michigan in Ann Arbor Deutsch und Mathematik studiert. An seine Tür hat er das Brecht-Gedicht
Der Zweifler
gehängt. Das passt ausgezeichnet zu der Art und Weise, wie Kraft seinen Beruf als Biostatistiker ausübt. Er weiß nur zu gut, wie man mit
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