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Geliebter Lord

Geliebter Lord

Titel: Geliebter Lord
Autoren: Karen Ranney
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davor, ihre Reaktion auf seine Worte zu sehen.
    »Hammer?«, wiederholte Mary stirnrunzelnd. »Ein furchteinflößender Name.«
    Brendan lächelte. Als sie es das erste Mal sah, hatte sie das Lächeln anziehend gefunden, aber inzwischen war ihr klar, dass er es aufsetzte, um sie zu umgarnen.
    »Er hatte einen eisenharten Schädel, und den rammte er mir in den Bauch, wenn ihm nicht gefiel, was ich sagte, was so gut wie immer der Fall war. Und so gab ich ihm diesen Spitznamen.«
    »Ich interessiere mich mehr für den Mann, der er heute ist, als für den Jungen von damals«, sagte sie.
    »Natürlich nenne ich ihn jetzt nicht mehr Hammer. Es wäre töricht, einen Mann von über dreißig bei seinem Kinderspitznamen zu rufen. Allerdings bin ich dafür bekannt, ab und zu etwas Törichtes zu tun.« Wieder schaute er zu ihr herüber, und Mary fragte sich, ob er, sie aus Inverness fortzulocken, ebenfalls zu seinen Torheiten rechnete.
    Er war der Bruder von Alisdair MacRae aus Gilmuir, einem alten Kunden ihres Ehemanns. Sie war nur bereit gewesen, Inverness mit Brendan zu verlassen, weil sie Alisdair und seine Frau Iseabal seit Jahren kannte – aber inzwischen plagten sie Zweifel, ob es klug gewesen war, sich auf diesen Besuch einzulassen.
    Mary schaute geradeaus, konzentrierte sich auf die Mähne zwischen den Ohren ihres braven Pferdes, das ebenso wie sie unter den Begleitumständen dieser Reise litt. Es regnete bereits den ganzen Tag. Seit sie am Nachmittag von der tadellosen Hauptstraße auf einen Weg abgebogen waren, der sich am See entlangwand, hatten sie mit einem schlammigen und furchigen Untergrund zu kämpfen und mussten immer wieder warten, damit der hoch beladene Lastkarren hinter ihnen aufholen konnte.
    »Ihr dürft Euch nicht von seiner Erscheinung schrecken lassen, Engel.«
    Sie warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Bitte nennt mich nicht so.«
    »In Inverness nennen Euch
alle
so.« Da war es wieder, das charmante Lächeln.
    »Nicht alle«, widersprach sie.
    »Aber die meisten.«
    »Nur weil viele Menschen etwas sagen, ist es noch lange nicht richtig.« Ihr Blick wurde eindringlich. »Ihr dürft nicht glauben, dass ich Wunder wirke. Ich kann nicht versprechen, Eurem Bruder zu helfen.« Es war ihr ein Anliegen, ihm das klarzumachen. »Ihr müsst gewärtig sein, dass meine begrenzten Fähigkeiten nicht ausreichen.«
    »Vielleicht
jedermanns
Fähigkeiten«, sagte Brendan düster.
    »Es ist knapp einen Monat her, dass Ihr Euren Bruder gesehen habt?« Mary lag noch eine zweite Frage auf der Zunge. Nach einigem Zögern sprach sie sie aus. »Seid Ihr sicher, dass er noch am Leben ist?«
    »Natürlich ist er das«, antwortete Brendan in überzeugtem Ton, doch seine Miene weckte in Mary Zweifel an seiner Zuversicht.
    Je weiter sie nach Westen kamen, umso karger und trostloser wurde die Landschaft. Links von ihnen lag der See und dahinter das Meer. Rechts erhoben sich kahle, schneebestäubte Berge. Die tiefhängenden Wolken schufen ein Licht, das alles in ein fahles Grau tauchte, die Farbe der Traurigkeit.
    Mary strich mit der Hand über den Arztkoffer, der vor ihr im Sattel ruhte. Der Arznei- und Instrumentenkoffer war eine Art Talisman und das Darüberstreichen eine Angewohnheit. Das abgewetzte, glänzende Leder zeugte davon, wie oft sie schon darübergestrichen hatte, wenn sie nervös war oder einfach nur auf etwas wartete.
    Die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass Heilen Geduld erforderte. Sie musste darauf warten, dass das Befinden eines Patienten sich besserte, dass eine Medizin wirkte, dass ein Fieber sank. Manchmal waren die Aussichten gut. Manchmal waren sie es nicht, und der Tod erschien, schwarz gekleidet und kichernd, um ihr den Kranken zu entreißen.
    »Ihr dürft Euch nicht von seiner Erscheinung schrecken lassen.« Es war das zweite Mal, dass Brendan das sagte, als fürchtete er, dass sie beim Anblick ihres neuen Patienten entsetzt aufschreien oder angeekelt zurückfahren würde.
    Er hatte sich nur vage über die Verletzungen seines Bruders geäußert, und Mary hatte in ihrer Hilfsbereitschaft verabsäumt, sich genauer zu erkundigen.
    »Ich habe schon viele schlimme Dinge gesehen«, versicherte sie ihm gelassen.
    »Indien hat ihn verändert. Er ist nicht mehr der, der er war.«
    »Menschen, die immer gesund waren, reagieren auf eine plötzliche Krankheit oft mit Wut. Sie fühlen sich von ihrem Körper im Stich gelassen.«
    »Er ist nicht wütend.« Brendan schien nach dem richtigen Wort zu suchen.
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