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Geliebter Lord

Geliebter Lord

Titel: Geliebter Lord
Autoren: Karen Ranney
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»Resigniert, vielleicht«, sagte er schließlich. »Fast, als wäre er für das Schlimmste bereit. Das sieht Hamish nicht ähnlich.«
    »Es könnte ein Symptom seiner Krankheit sein.« Mary war ein solches Verhalten bei Patienten nicht fremd. »Gerade vitale Männer stürzt es in eine Krise, auf einmal nicht mehr im Vollbesitz ihrer Kräfte zu sein.«
    Brendan nickte schweigend.
    Marys Hände in den Lederhandschuhen waren eiskalt, und sie konnte sich nicht mehr erinnern, wie Wärme und Trockenheit sich anfühlten. Der pfeifende Nordwind drückte die Mähne des Pferdes platt und fuhr unter Marys roten Umhang. Sie saß kerzengerade im Sattel, die Ellbogen an den Körper gepresst, das Kinn dem Wetter trotzend entgegengehoben.
    »Wir müssen bald da sein«, sagte sie. Es war eher der Ausdruck einer Hoffnung als eine Feststellung. Brendan äußerte sich nicht dazu.
    Im Geist verglich sie ihn mit Charles, dem Lehrling ihres verstorbenen Ehemanns. Brendan war wesentlich anziehender mit seinem offenen Gesicht, den haselnussbraunen Augen und dem braunen Haar, das ihm jungenhaft in die Stirn fiel.
    Charles hatte ein schmaleres Gesicht und ein engstirniges Wesen. Außerdem wurde er seit einigen Monaten zunehmend besitzergreifend, so dass sie den Besuch bei diesem neuen Patienten in gewisser Weise auch als Fluchtmöglichkeit gesehen hatte.
    Ähnlich aber waren die Männer sich in ihrer Zielstrebigkeit. Brendan und sie waren im Morgengrauen in Richtung Westen aufgebrochen und hatten trotz des Wetters noch keine einzige Pause eingelegt. Mary hatte das Gefühl, dass Brendan nichts und niemand stoppen könnte, er erst anhalten würde, wenn sie bei seinem Bruder ankämen.
    Sie war noch nie so weit von zu Hause fort gewesen und sagte sich während dieses scheinbar nicht enden wollenden Tages immer wieder, dass das Abenteuer dieser Reise die Unbilden wert sei. Von jetzt an könnte sie, wenn andere von ihren Reisen berichteten, erzählen, dass auch sie über die Grenzen von Inverness hinausgekommen war. Auch wenn es nichts weiter zu sehen gab als schneebedeckte Berggipfel und einen grauen, fingerförmigen See, der aufs Meer zeigte.
    Plötzlich zügelte Brendan sein Pferd und streckte den Arm aus. »Da ist es. Castle Gloom.«
    »Castle Gloom?«
    »Düsterkeit war das Erste, was mir in den Sinn kam, als ich es sah.«
    Mary hatte keine Burg erwartet. Das von einem hohen Turm dominierte, aus dunkelrotem Backstein und Naturstein errichtete Castle wirkte wie ein Farbfleck in der ansonsten farblosen Landschaft. Fast wie eine Wunde. Der Gedanke erschreckte sie ebenso wie der Schwarm Seevögel, die wie aus dem Nichts mit rauschenden Schwingen über ihre Köpfe hinweg in die entgegengesetzte Richtung flogen. Es war wie eine Warnung, dachte Mary.
    Plötzlich gab es einen Knall. Brendan erbleichte, und ehe sie begreifen konnte, was er vorhatte, geschweige denn, sich dagegen wehren, hechtete er aus seinem Sattel zu ihr herüber und riss sie mit sich zu Boden, wo sie unter ihm im Gras landete. Als sie ihn gerade wegstoßen und fragen wollte, ob er den Verstand verloren hätte, traf ein Geschoss den Baum zu ihrer Linken – Funken schienen herabzuregnen.
    »Er schießt auf uns! Der verdammte Narr schießt auf uns!«
    »Wer?«
    »Hamish!«, knurrte Brendan wütend.
    Mary stemmte eine Hand gegen seine Schulter, und er glitt von ihr herunter, doch sie machten beide keine Anstalten aufzustehen.
    »Wie kommt er dazu, auf seinen eigenen Bruder zu schießen?«
    Da Brendan keine Antwort auf diese Frage wusste, schwieg er. Sie ließ das Thema fallen und setzte sich auf. Er half ihr hoch.
    Ihre Schulter und ihr Knie schmerzten vom Aufprall, doch Mary ließ diese kleinen Unannehmlichkeiten unerwähnt. Sie waren bedeutungslos im Vergleich mit dem Beschuss.
    Mary bückte sich nach einem Splitter des Geschosses und legte das warme glitzernde Metall auf ihre behandschuhte flache Hand.
    Bevor sie etwas dazu bemerken konnte, nahm Brendan es ihr weg.
    »Was ist das?«, fragte sie.
    »Bronze.«
    Sie begegnete seinem Blick und las darin die gleiche Verwirrung, die sie empfand.
    »Warum hat er auf uns geschossen?«
    »Ich weiß es nicht, Engel.«
    Diesmal ermahnte sie ihn nicht.
     
    Wenn er das Korn nur um fünf Zentimeter gesenkt hätte, wäre es ihm vielleicht gelungen, die Spitze der hohen Kiefer wegzuschießen. Hamish notierte die Koordinaten, wozu er ein lumpenumwickeltes Stück Holzkohle benutzte. Das Papier ging zur Neige. Er hoffte, dass Brendan kommen würde,
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