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Geliebter Lord

Geliebter Lord

Titel: Geliebter Lord
Autoren: Karen Ranney
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Geist ging er die Länder und Orte durch, die sie besuchen würden. Zuallererst Italien, Florenz, wo er den schönsten Koffer aus italienischem Leder für die Arzneien in Auftrag geben wollte, die Mary wieder zu sammeln beginnen würde. Anschließend vielleicht Rom. Er würde ihr alles zeigen, außer Indien. Nicht, dass dieses Land das Monopol auf Grausamkeit hätte – es gab auch noch viele andere Länder auf der Erde, deren Einwohner über das Eindringen der Briten erzürnt und ebenso rebellionsbereit waren wie die Atavasi.
    Er würde seine Frau keinesfalls in Gefahr bringen.
    Seine Frau.
Die beiden Worte drückten einen berechtigten Besitzanspruch aus. Ursprünglich hatte er nur eines von dieser Frau gewollt, aber dann war ihm klargeworden, dass ihr Körper ihm nicht genügte. Er wollte ihren Geist und ihre Seele ausloten.
    Die Frau, die er sich ins Bett geholt hatte, war mit der Frau verschmolzen, die ihn faszinierte, und nun bildeten die beiden eine Einheit aus verführerischer Körperlichkeit, Charme, Anmut, Klugheit und mehr. Er wollte wissen, wie sie über bestimmte Themen dachte, wie ihre Kindheit gewesen war, wovon sie träumte, welche Farbe sie am liebsten mochte – lauter Dinge, die er wüsste, wenn er ihr in korrekter Weise den Hof gemacht hätte.
    Früher einmal hätte er das getan, aber nach Indien war ihm gar nicht der Gedanke gekommen, einer Frau den Hof zu machen. Und dann hatte das Schicksal ihm Mary beschert. Es war, als wollte es ihn belohnen. Aber wofür? Dass er sich standhaft geweigert hatte zu sterben?
    Seine Gedanken wanderten zu jenen Tagen in der Wüste zurück. Monatelang hatte er es vermieden, an Thompson zu denken, und jetzt erlebte er die Szene, als sei er nicht daran beteiligt, als beobachte er den Mann, der er gewesen war.
    Die Kleider in Fetzen, die Haut ob der sengenden Sonne mit Blasen übersät, die Lippen aufgesprungen, sank er neben Thompson auf die Knie und befahl: »Steh auf!« Seine Kehle fühlte sich an, als hätte er glühenden Sand geschluckt. Nach monatelangem Schreien konnte er nur noch krächzen. »Steh auf, verdammt!«
    Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis Thompson die Lider hob. Mit aufgerissenen Augen starrte er geradewegs in die Sonne. »Susan? Bist du das? Oh, meine Liebste, ich habe von dir geträumt.«
    »Steh auf, Thompson.«
    Ein Zittern durchlief den Mann, und er schaufelte mit den Händen Sand über sich, bis nur noch seine Brust und sein Kopf herausschauten. »Der Winter in Surrey ist kalt«, murmelte er.
    Hamish stand auf. Fast am Ende seiner Kräfte war er versucht, sich zu ihm in den Sand zu legen und sich nach Hause zu träumen. Doch dann schüttelte er sich und schrie erneut auf Thompson ein: »Verdammt noch mal! Willst du etwa sterben?«
    »Susan! Mach das Fenster zu – es ist kalt im Zimmer.«
    Thompson verschränkte die Arme über der Brust, und sein zitternder Oberkörper richtete sich auf. Wie Hamish hatte auch er in der Gefangenschaft so viel Gewicht verloren, dass sein Kopf an einen Totenschädel gemahnte, und was wie ein Grinsen aussah, war in Wahrheit ein Muskelkrampf.
    »Thompson!«
    Sein Gefährte sank zurück. Er würde sterben – und ihm, Hamish, drohte das Gleiche, wenn er noch länger verweilte. Er bückte sich, füllte die Hälfte des Inhalts von Thompsons Wasserflasche in seine eigene um und versuchte noch einmal, den Mann aufzurütteln. Als er nicht reagierte, drehte Hamish sich um und marschierte auf den Horizont zu. Sobald er Hilfe fände, die nächste Oase, würde er Thompson holen.
    Doch als Hamish mit ein paar Helfern zurückkam, war der Mann tot. Er sah so friedlich aus, als wäre er in seinem Bett in Surrey eingeschlafen.
    Die Erinnerung endete, und Hamish bat Thompson im Stillen inständig um Vergebung. Plötzlich erschien ihm der Tote, schlug die Augen auf, blickte ihn an und lächelte. Dann verschwand er.
    Auf einmal wurde Hamish klar, was ihn dazu bewogen hatte, sich in die Einsamkeit von Castle Gloom zurückzuziehen: Ichbezogenheit. Auch diesem Zustand hatte Mary ein Ende bereitet. Etwas jedoch würde er allein schaffen müssen: Abgesehen davon, den Atavasi zu vergeben, musste er auch lernen, sich selbst zu vergeben.
    Vielleicht könnte er seine Verfehlung wiedergutmachen, indem er sich änderte. Er könnte ein besserer Sohn werden, ein besserer Bruder. Irgendwann würde er ein guter Vater sein, wie sein Vater Ian es ihm vorgemacht hatte – und vor allem würde er ein guter Ehemann sein.
    Der Gedanke
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