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Gekapert

Titel: Gekapert
Autoren: Nuruddin Farah
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meisterhaft, sich Zeit zu lassen. Bei genauerem Hinsehen bemerkt Jeebleh, daß die Barthaare auf seinen Wangen wie die einer wütenden Katze zucken. »Könnt ihr euch ausweisen?« fragt er Vollbart. »Das wollen die jungen Leute damit sagen.« Er spricht mit der Höflichkeit eines Menschen, der den Kampf um den Laptop – oder den Krieg, ihn im Falle einer Konfiszierung wieder zurückzubekommen – nicht verlieren darf. In seinen Augen ist keine Unterwerfung zu lesen, sondern ein gewisser Widerstand.
    Aus Vollbarts Stimme ist der Wüstensand verschwunden, als er Jeebleh antwortet. »Ich repräsentiere die Amtsgewalt der Union. Bis jetzt hat uns die Union noch nicht mit Ausweisen ausgestattet. Wir arbeiten als Freiwillige. Ihr müßt mir also in dieser Hinsicht vertrauen. Es ist besser so, für uns alle.«
    »Was, wenn er sich weigert?« fragt Jeebleh.
    Vollbart steckt die Hände in die Taschen und zieht die Augenbrauen zusammen, wie jemand, der sich an etwas Unangenehmes erinnert. Auf seinen Befehl treten vier bewaffnete Jugendliche aus einer Kabine rechts von der Gruppe. Die Jugendlichen verteilen sich, als imitierten sie eine Filmszene oder eine Dschihad-Dokumentation, die man ihnen vorgeführt hat. Sie bringen ihre gasbetriebene AK -47 in Anschlag und stehen mit gespreizten Beinen da, schieben den Sicherungshebel auf Vollautomatik: Sie sind schußbereit, falls sie provoziert werden oder Vollbart ihnen den Befehl gibt. Ausgerechnet in diesem Moment teilt ihnen Vollbart seinen Namen mit. »Ich heiße Abu Cumar bin Cafaan«, sagt er, »und habe den Auftrag, sicherzustellen, daß nichts eingeführt wird, was dem islamischen Sittenkodex zuwiderläuft, keine anstößige Software, kein pornographisches Material.«
    Widerwillig händigt Malik seinen Laptop aus.
    »Geh mit und gib dein Paßwort ein, damit er Zugang hat«, sagt Gumaad zu Malik.
    »Nicht nötig«, sagt Vollbart.
    »Nicht nötig?«
    »Ihr seid wohl der irrigen Ansicht, bloß weil wir muslimische Namen aus den Tagen des Propheten tragen – möge Allah ihn segnen – und nicht Johnny, Billy oder Teddy heißen, sind wir unfähig, uns ohne Paßwort Zugang zu einem Computer zu verschaffen«, sagt Vollbart. »Wir sind nicht so rückständig, wie ihr vielleicht denkt.«
    »Gib ihm den Laptop«, sagt Dajaal zu Malik, »und mach dir keine Gedanken darüber, was er damit anstellt. Wir wissen, wie wir mit solchen Typen umgehen müssen.«
    Malik sitzt fassungslos da, Verzweiflung hat ihn übermannt.
    »Dajaal und ich – wie kann jemand nur einen satanischen Namen tragen und auch noch stolz darauf sein – kennen uns seit ewigen Zeiten«, sagt Vollbart. »Er weiß, wozu ich fähig bin, dieser Spießgeselle des Teufels.«
    Als Vollbart sich mit dem Laptop entfernt und die vier zurückläßt, die einander ratlose Blicke zuwerfen, was zu sagen oder zu tun wäre, fällt Jeebleh ein, daß in der islamischen Mythologie Dajaal der Name des Antichristen ist. Er hofft, daß sie sich wegen dieses Vorkommnisses nicht gegenseitig Vorwürfe machen werden. Vollbart scheint es weniger um Verstöße gegen den islamischen Sittenkodex als um die Begleichung alter Rechnungen mit Dajaal zu gehen. Mittlerweile ist Malik dabei, diese neue Erfahrung mit einer Vielzahl früherer Zusammenstöße zu vergleichen, bei denen Machtmißbrauch im Spiel war, von seiner Inhaftierung durch einen afghanischen Warlord, der auf Maliks Begleitung, eine Journalistin, scharf war, bis zur Beschlagnahmung seines Autos samt Bargeld und diverser Wertsachen durch einen kongolesischen Bandenführer.
    »Sollen wir warten?« fragt Jeebleh.
    »Ich habe keine Ahnung, wie lange es dauern wird«, sagt Vollbart. »Ich schlage vor, ihr geht und schaut euch die Stadt an, eßt zu Mittag, duscht.« Dann lächelt er süffisant in Dajaals Richtung. »Schick dann später deinen Fahrer und seinen Handlanger vorbei, damit sie euren Laptop abholen«, sagt er zu Jeebleh.
    Und wieder weiß niemand etwas darauf zu sagen.
    Als er wegfährt, fällt Dajaal Vollbarts Spitzname aus Kindertagen ein: »Vater aller Lügen, Onkel des Betrugs.« Er fährt schnell, als wollte er auf eine verblassende Vergangenheit zubrausen, um den anderen zu zeigen, was er schon ­immer gewußt hat. Er sagt lediglich: »Vollbart hat mehr Pseudonyme als sonst jemand, den ich kenne.«
    Dajaal ist Soldat; er geizt mit Worten und neigt nicht zu Gefühlsausbrüchen. Er ist vorsichtig, darauf bedacht, daß sein Handeln weder Malik noch Jeebleh schadet. Er und Vollbart
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