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Geisterreigen

Geisterreigen

Titel: Geisterreigen
Autoren: Dinah Kayser
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Kein Mensch wurde so gefürchtet wie er. Auch wenn niemand wagte, darüber zu sprechen, für die meisten Leute in Alberry stand fest, daß nur Lord Rowland hinter dem Verschwinden der kleinen Mädchen stecken konnte.
    Mary hatte die Lichtung erreicht, von der die Kinder gespr ochen hatten. Erleichtert atmete sie auf, als sie ihre Schwester sah. Die Kleine hockte neben einem Himbeerstrauch und stopfte sich mit den süßen Früchten den Magen voll.
    Plötzlich hörte das junge Mädchen das Wiehern eines Pferdes. Gleich darauf ritt Lord Rowland auf die Lichtung. Lucy sprang erschrocken auf. Den Beereneimer an sich gepreßt, machte sie einen unbeholf enen Knicks.
    Lord Rowland glitt aus dem Sattel. "Dich kenne ich doch", sagte er und hob Lucys Kinn mit dem Griff seiner Reitpeitsche an.
    "Ich habe nichts getan, Sir", stammelte die Sechsjährige.
    "Habe ich das behauptet?" fragte er. "Ich möchte, daß du mit mir nach Rowland Castle kommst, um mit meinen Töchter zu spielen."
    "Das geht nicht, Sir", flüsterte Lucy heiser vor Angst. "Ich muß nach Hause. Meine Mutter wartet auf mich."
    "Hat man dir nicht beigebracht, deinem Herrn zu gehorchen, Lucy Cook?" donnerte Lord Rowland und packte das Kind beim Arm. Verzweifelt schrie es auf.
    Mary stürzte auf die Lichtung. Sie wollte Lord Rowland die Kleine entreißen, aber sie kam nicht einmal in seine Nähe. Er ließ Lucy los und holte mit der Peitsche aus. Als das junge Mädchen auszuweichen versuchte, stolperte es und stürzte hin. Es gab ein häßliches Geräusch, als es mit dem Hinterkopf auf einen Stein aufschlug.
    "Mary! Mary!" Lucy warf sich über ihre Schwester. "Mary, was hast du? Mary, wach auf! Mary..."
    Lord Rowland griff erneut nach dem Kind. Hart umfaßten seine Hände den schmächtigen Körper. Ohne Lucy loszulassen, beugte er sich über deren Schwester und bemerkte den schmalen Blutfaden, der aus ihrem Mund rann.
    "Ist Mary tot?" schluchzte Lucy.
    "Halt den Mund", herrschte er sie an.
    Die Kleine begann gegen seinen harten Griff zu kämpfen, aber sie schaffte es nicht, sich aus seiner Umklammerung zu winden. Der Mann versetzte ihr einen harten Schlag und warf sie über den Rücken seines Pferdes. Sekunden später saß er hinter ihr im Sattel und ritt mit ihr davon.
    Als Peter Cook Stunden später seine Schwester fand, kam sie gerade wieder zu Bewußtsein, aber sie erkannte ihn nicht. Er stellte die Laterne neben ihr auf den Waldboden und schob den Arm unter ihren Kopf.
    "Mary, wo ist Lucy?" fragte er kaum seiner Stimme mächtig. Auch wenn er sich sehr oft über seine kleine Schwester ärgerte, er liebte sie über alles.
    Mary blickte zu ihm auf. Sie sah nur einen dunklen Schatten, aus dem sie zwei Augen anzustarren schienen. Sie öffnete den Mund, ihre Lippen formten lautlose Worte.
    "Ich wünschte, du könntest sprechen", sagte Peter. "Ich..."
    "Verflucht soll er sein!" stieß Mary haßerfüllt hervor. Ihre Stimme schallte schauerlich durch die Stille des Waldes. Peter bekreuzigte sich erschrocken. "Verflucht sollen er und seine Familie sein bis an das Ende aller Tage. Keine Tochter der Rowlands soll ihren siebenten Geburtstag erleben, keine...
    Marys Stimme verstummte. Sie schloß die Augen. Ihr Körper wurde leicht wie eine Feder. Kraftlos sank ihr Kopf zur Seite.
    Peter Cook ließ seine Schwester auf den Waldboden zurückgleiten. Er stand auf und ballte die Hände. Der Wald schien sich verändert zu haben. Trotz des leichten Windes, der durch die Wipfel der Bäume strich, bewegten sich nicht ein einziger Zweig, nicht ein einziges Blatt. Der junge Mann blickte zum Himmel hinauf. Dunkle, bedrohlich wirkende Wolken bedeckten ihn.
    "Verflucht seist du Charles Lord Rowland! Verflucht!" schrie er in die Nacht, dann brach er aufschluchzend neben seiner toten Schwester zusammen.
    2.
    Fast zweihundert Jahre später
    Diana Rowland brachte ihren Wagen unter einer einsamen Kiefer zum Stehen. Sie stieg aus und trat an den Klippenrand. Es duftete wunderbar nach Meer und Tang. Die junge Frau breitete die Arme aus, als wollte sie die ganze Welt umarmen. Selten zuvor hatte sie sich so wohl gefühlt wie in diesem Moment. Warum war sie nicht schon früher heimgekehrt? Die Jahre in Italien und der Schweiz erschienen ihr plötzlich verloren.
    Diana ließ ihren Blick nach Alberry schweifen, dessen Häuser sich rund achthundert Meter von diesem Platz entfernt fast bis zum Strand zogen. Hinter dem kleinen Dorf erhoben sich auf einer steilen Klippe die grauen Mauern von Rowland
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