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Geisterhauch (German Edition)

Geisterhauch (German Edition)

Titel: Geisterhauch (German Edition)
Autoren: Darynda Jones
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fiel, verlor er die Fassung.
    »Bitte«, sagte er mit belegter Stimme und konnte seine Gefühle kaum im Zaum halten, »nicht Charley. Bitte, nicht Charley.«
    Mir blieb das Herz stehen. Die Luft im Raum war plötzlich zum Schneiden. Ich glaubte, ich müsste ersticken. Die Erkenntnis, was hier vorging, war ein derartiger Schock, dass ich eine volle Minute lang wie betäubt war. Dann erst sah ich auf. Jetzt waren alle mitfühlenden Blicke auf meinen Vater gerichtet. Sie sahen einen Mann in Angst. Ich sah einen Mann, einen erfahrenen Bullen, der eine Entscheidung getroffen hatte.
    Mein Vater senkte den Kopf und linste unter gesenkten Lidern kummervoll zu mir herüber. Zu sagen, dass mich sein Flehen sprachlos machte, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Was er mit Klauen und Zähnen unter dem Deckel zu halten versuchte, war nicht qualvolle Angst, sondern ein quälendes Schuldgefühl. Er begegnete meinem Blick, mit jedem Wimpernschlag bat er mich stumm um Verzeihung. Der Aufruhr, der mich dabei überkam, trieb mich von meinem Stuhl.
    Ich stand taumelnd auf, vergaß Decke und Aufnahme und schaute in die Gesichter neben mir. Denise war empört, dass ihr Mann um mein Leben, aber nicht um ihres gefleht hatte. Ihr Sinn für die Realität reichte nicht so tief, als dass sie die Wahrheit begriffen hätte. Es musste angenehm sein, die Welt so eindimensional zu betrachten.
    Aber Onkel Bob begriff sie. Er saß mit offenem Mund da und starrte Dad an, als hätte er den Verstand verloren. Und Gemma begriff sie auch. Gemma. Der einzige Mensch auf dem Planeten Erde, von dem ich kein Mitgefühl wollte oder brauchte.
    Gott sei Dank blieben alle Tränen, befördert von der Erkenntnis, dass mein Vater praktisch eine Zielscheibe auf meine Stirn gemalt hatte, hinter einer Mauer aus Fassungslosigkeit gestaut. Meine Lungen waren gelähmt wie nach einem Aufprall. Sie fingen an zu brennen, und ich musste mich zwingen, weiterzuatmen, während ich ihn anstarrte.
    Mein Vater, ein Veteran des Albuquerque Police Departments, war viel zu gerissen, um etwas so unglaublich Dummes zu tun. Und mein Onkel Bob wusste das. Ich sah Bestürzung und Zorn in seinen braunen Augen. Er war genauso fassungslos wie ich.
    Der Gesichtsausdruck meines Vaters war verwerflich. Der verständnislose Ausdruck im Gesicht meiner Stiefmutter, als sie zwischen den beiden hin und her schaute, war fast komisch. Doch es waren drei Leute im Raum, die kapiert hatten, was los war. Onkel Bob, was mir einleuchtete, aber auch Taft, was mich erstaunte. Er sah mich überrascht und ein bisschen bedauernd an.
    Doch die Fassungslosigkeit in Gemmas Gesicht war mehr, als ich ertragen konnte. Sie blickte unseren Vater scharf an. Ihr Doktor in Psychologie zahlte sich aus. Ihr war klar, dass unser Vater sie mir vorgezogen hatte. Unsere Stiefmutter mir vorgezogen hatte.
    Meine Füße trugen mich rückwärts vom Tisch weg, bis ich einen Türknauf im Rücken spürte. Ich griff hinter mich und drehte ihn, als mein Vater aufstand.
    »Charley, warte«, rief er mir nach, aber ich rauschte bereits hinaus. Vor mir ein Meer von Schreibtischen mit klingelnden Telefonen und klappernden Tastaturen. Ich eilte hindurch und hörte ihn rufen.
    »Charley, bitte bleib stehen.«
    Damit er meinen emotionalen Zusammenbruch miterleben konnte? Auf keinen Fall!
    Doch er war schneller, als ich gedacht hatte. Er bekam mich mit seiner langen, schlanken Hand zu fassen und drehte mich herum, damit ich ihn ansah. Da erst bemerkte ich, dass ich weinte. Er war völlig verschwommen. Ich kniff die Augen zu und wischte mir mit dem Handrücken übers Gesicht.
    »Charley –«
    »Jetzt nicht.« Ich riss mich los und hielt auf den Ausgang zu.
    »Charley«, rief er und erwischte mich, als ich gerade durch die Tür wollte. Er zog mich wieder in den Raum. Ich riss mich los. Er packte mich erneut, und ich riss mich wieder los. So ging es immer heftiger hin und her, bis ich ihm mit der flachen Hand ins Gesicht schlug, so hart, dass es knallte. Es wurde still im Raum. Alle Augen waren plötzlich auf uns gerichtet.
    Er fasste sich an die Wange. »Die habe ich verdient, aber lass es mich erklären.«
    Wir standen in dem Großraumbüro, und in mir brannte das Gefühl, verraten und gedemütigt worden zu sein. Darum hörte ich kein Wort von dem, was er zu sagen hatte. Ich machte dicht. Seine Worte prallten an mir ab, als schützte mich ein unsichtbares Kraftfeld, und nachdem ich einen Zornesblick auf ihn abgeschossen hatte, den besten, den
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