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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
Autoren: Douwe Draaisma
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pflichtgemäß auf de Morsier und seine Artikel aus den Jahren 1936 und 1967 verwiesen. Man ehrt ihn als den Mann, der dem Syndrom den Namen gab. Auch der medizinisch-psychiatrische Jargon, den er einführte, wurde übernommen: Wer die Bilder sieht, ist ein Patient. Aber dem Aufruf, sich auch an seine Kriterien zu halten, schenkte man kein Gehör. Manche Wissenschaftler ließen auch junge Menschen mit Augenkrankheiten am Bonnet-Syndrom leiden, andere reservierten den Namen für Ältere mit visuellen Halluzinationen, auch wenn sie darüber hinaus noch weitere psychiatrische oder neurologische Probleme hatten. Auch die Terminologie ist nicht einheitlich. Die Bilder wurden >Phan-tombilder< und >visuelle Wahnvorstellungen< genannt. Die Miniaturbilder beschrieb man als >hallucinations gulliveriennes< oder Jilliputtian images<, die langgestreckten Bilder als >brobdingna-gian images<. Zusammengefasst als Mikroskopie und Makroskopie, verweisen sie auf Verformungen, die auch bei einem beginnenden epileptischen Anfall und heftiger Migräne auftreten können. Ein häufig benutzter Begriff wie >Pseudo-Halluzinatio-nen< wurde von anderen Autoren wieder angefochten: Das Kriterium für eine Halluzination sei, so lautete die Begründung, dass die Person selbst an das Wahrgenommene glaube, und das sei bei den Bildern von Bonnet eben nicht der Fall. Halluzinationen seien per Definition fiktiv und der Zusatz >Pseudo-< mache einen schemenhaften Begriff noch ein wenig verschwommener. Manche Autoren bevorzugten daher, wie einst Bonnet, das neutrale >visions<. Ausgehend von dem Eponym sollte es eigentlich naheliegen, schlicht von >Bonnet-Bildern< zu sprechen, aber ausgerechnet dieser Begriff kommt in der Literatur nicht vor.
    Die Fachliteratur der letzten dreißig Jahre wird von Geriatern und Augenärzten dominiert, worin sich die beiden Hauptfaktoren des Bonnet-Syndroms widerspiegeln: Alter und verminderte Sehleistung. Die Untersuchung größerer Gruppen von Patienten, die sich bei Augenkliniken gemeldet hatten, hat gezeigt, dass das Bonnet-Syndrom gar nicht so selten ist, wie man lange Zeit angenommen hatte. Im Gegenteil: Unter den älteren Augenkranken entdeckte der Augenarzt Crane 1995 bei 38 Prozent seiner Patienten bonnetartige Phänomene. 22 Die vermeintliche Seltenheit des Syndroms scheint selbst ein Fall der Miniaturisierung zu sein: Menschen, die Bonnetbilder sehen, behalten dies lieber für sich, da sie Angst haben, für verrückt erklärt zu werden. Hingegen bestätigte sich auch in den moderneren Untersuchungen, dass Bonnet-Bilder als >außerhalb< gesehen werden, auch wenn diese Erfahrung im Laufe der Zeit unterschiedlich ausgedrückt wurde. Sah Lullin die Bilder 1759 noch »wie auf einem Gemälde«, war es für spätere Generationen »comme au cinema« (1936) oder »like watching television« (1982).
    Die umfänglichste Studie bislang hat der Gerontopsychiater Robert Teunisse durchgeführt, der 1998 darüber promovierte. 23 Für seine Untersuchungen stand ihm eine große Anzahl Patienten der Poliklinik Augenheilkunde des Medizinischen Zentrums der Radboud Universität Nijmegen (Nimwegen) zur Verfügung. In seiner Dissertation beschreibt er zunächst die neurologischen, psychiatrischen und augenärztlichen Merkmale von vierzehn Patienten mit dem Bonnet-Syndrom. Anschließend vergleicht er äußerst detailliert sechzig Bonnet-Patienten mit einer Gruppe von Personen, die gleich alt sind und dieselben Augenprobleme haben, aber keine Bonnet-Bilder sehen. Alle Patienten waren älter als vierundsechzig Jahre und hatten eine Sehschärfe von weniger als 0,3 auf dem besseren Auge.
    Die Art der Bilder, so zeigten Interviews, wechseln genauso wie ihr Inhalt. Die meisten Bilder erscheinen in ihrer natürlichen Farbe, manchmal jedoch auch in Schwarzweiß. Die Bilder können schärfer oder verschwommener sein als die Realität, bisweilen bleiben sie eine Stunde sichtbar, dann wieder sind sie schon nach wenigen Augenblicken verschwunden. Mal ist Bewegung im Bild, mal bewegt sich das Bild als Ganzes. Das eine Bild macht den Eindruck, frei zu schweben, während es bei anderen scheint, als wären sie auf einen Hintergrund projiziert worden. Mal haben die Gegenstände in den Bildern ihre natürliche Größe, ein anderes Mal sind sie absurd klein oder groß. Bei den meisten Menschen verschwanden die Bilder von selbst innerhalb eines Jahres, manche aber sahen sie schon länger als fünf Jahre.
    Es gab allerdings auch Übereinstimmungen. Alle
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