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Gehetzte Uhrmacher

Titel: Gehetzte Uhrmacher
Autoren: J Deaver
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freiberuflicher Werbetexter. Seine Büroanschrift ist die gleiche wie die seiner Wohnung.«
    »Vielleicht hat er dort oder in einem der anderen Gebäude einen Kunden gehabt.«
    »Lon überprüft das gerade.«
    »Gut. Diese nächstgelegene Tür... könnte der Täter ihm dort aufgelauert haben?«
    »Ja«, erwiderte sie.
    »Lass sie öffnen, und schau dich dahinter mal um.«
    »Keine Zeugen«, rief Lon Sellitto vom Rand des Tatorts. »Die sind alle mit Blindheit geschlagen. Oh, und taub sind sie auch... In
den Häusern entlang der Gasse gibt es ungefähr vierzig oder fünfzig Büros. Falls jemand ihn gekannt hat, könnte es eine Weile dauern, denjenigen zu finden.«
    Sachs richtete ihm Rhymes Bitte aus, die Tür neben der Leiche zu öffnen.
    »Alles klar.« Sellitto machte sich auf den Weg und blies sich wärmenden Atem in die gewölbten Hände.
    Sachs filmte und fotografierte den Tatort. Dann suchte sie an der Leiche und im näheren Umkreis nach Hinweisen auf einen sexuellen Kontakt, fand aber keine. Danach schritt sie das Gitternetz ab – was bedeutete, dass sie das Gelände in senkrechten und waagerechten Bahnen durchmaß und so jeden Quadratzentimeter aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen bekam. Im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen bestand Rhyme darauf, dass diese Untersuchung von einer einzelnen Person vorgenommen wurde – außer natürlich an den Schauplätzen größerer Katastrophen. Aus diesem Grund blieb Sachs bei ihrer Arbeit allein.
    Doch wer auch immer dieses Verbrechen begangen hatte, war sorgfältig darauf bedacht gewesen, keine augenfälligen Spuren zu hinterlassen, abgesehen von der Nachricht und der Uhr, der Metallstange, dem Isolierband und dem Seil.
    Amelia gab es über Funk an Rhyme weiter.
    »Es liegt nicht unbedingt in der Natur eines Täters, uns die Aufgabe zu erleichtern, oder, Sachs?«
    Seine gute Laune nervte; er befand sich nicht direkt neben einem Mann, der einen so grausigen Tod gestorben war. Sie ignorierte den Kommentar und setzte die Untersuchung fort, angefangen mit dem Leichnam, damit dieser von der Gerichtsmedizin abtransportiert werden konnte. Sie sammelte die Besitztümer des Toten ein, suchte nach Fingerabdrücken, fertigte elektrostatische Abdrücke aller Fußspuren an und sicherte mit einem Kleberoller, wie man ihn auch zur Entfernung von Tierhaaren benutzte, eventuelle Partikel an der Kleidung des Opfers.
    In Anbetracht des Gewichts der Stange war der Täter vermutlich mit einem Wagen hergekommen, aber es gab keine Reifenspuren. In der Mitte der Gasse war Steinsalz gestreut worden, um das Eis zu schmelzen, und die Körner beeinträchtigten jeden großflächigen Kontakt mit den Pflastersteinen.

    Dann kniff Amelia die Augen zusammen. »Rhyme, hier ist was Merkwürdiges. Rund um die Leiche, in einem Radius von knapp einem Meter, liegt eine Substanz auf dem Boden.«
    »Was ist es deiner Meinung nach?«
    Sachs bückte sich und zog eine Lupe aus der Tasche. Es schien sich um feinen Sand zu handeln. Sie teilte es Rhyme mit.
    »Wegen des Eises?«
    »Nein. Es liegt nur rund um den Toten und sonst nirgendwo in der Gasse. Gegen den Schnee und das Eis wurde hier Salz gestreut.« Sie wich ein Stück zurück. »Aber es ist bloß noch ein kleiner Rest übrig. Als hätte er... Ja, Rhyme. Er hat es aufgefegt. Mit einem Besen.«
    »Gefegt?«
    »Ich kann das Muster der Borsten erkennen. Es sieht so aus, als habe er reichlich Sand auf die Stelle gestreut und ihn dann wieder aufgefegt... Vielleicht auch nicht. Am ersten Tatort, auf dem Pier, gab es nichts dergleichen.«
    »Ist Sand auf dem Opfer oder der Stange?«
    »Moment... Ja, da ist welcher.«
    »Demnach hat er den Sand nach dem Mord gestreut«, sagte Rhyme. »Wahrscheinlich zu Tarnungszwecken.«
    Aufmerksame Täter verteilen mitunter eine pulverige oder körnige Substanz – Sand, Katzenstreu oder sogar Mehl – auf dem Boden, nachdem sie ein Verbrechen begangen haben. Dann fegen oder saugen sie das Material wieder auf und entfernen damit zugleich die meisten Partikelspuren.
    »Aber weshalb?«, grübelte Rhyme.
    Sachs sah den Toten an, blickte auf das Kopfsteinpflaster.
    Ich bin er...
    Wieso sollte ich fegen?
    Täter verwischen häufig ihre Fingerabdrücke und nehmen die offensichtlichen Beweise mit, aber nur die Wenigsten machen sich die Mühe, ein Tarnmittel einzusetzen. Amelia schloss die Augen und – so schwer es ihr auch fiel – stellte sich vor, wie sie über dem jungen Mann stand, der verzweifelt versuchte, die Stange nicht auf
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