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Gehen (German Edition)

Gehen (German Edition)

Titel: Gehen (German Edition)
Autoren: Thomas Bernhard
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nicht kennen, nicht sein Gehen vorwerfen dürfen. Auf was für eine vernachlässigte Weise dieser Mensch geht , denken wir oft und sehr oft: wie vernachlässigt dieser Mensch denkt , und wir kommen bald darauf, daß dieser Mensch genauso, wie er denkt, geht, wie er geht, denkt. Wir dürfen uns aber nicht selbst fragen, wie wir gehen, denn dann gehen wir anders, als wir in Wirklichkeit gehen und unser Gehen ist überhaupt nicht zu beurteilen, wie wir uns nicht fragen dürfen, wie wir denken, denn dann können wir, weil es nicht mehr unser Denken ist, nicht mehr beurteilen, wie wir denken. Während wir einen Anderen ohne weiteres, ohne daß er es weiß (und wahrnimmt) beobachten können, also sein Gehen wie sein Denken, können wir uns selbst niemals ohne, daß wir es wissen (wahrnehmen) beobachten. Wenn wir uns selbst beobachten, beobachten wir ja immer niemals uns selbst, sondern immer einen andern. Wir können also niemals von Selbstbeobachtung sprechen, oder wir sprechen davon, daß wir uns selbst beobachten als der, der wir sind, wenn wir uns selbst beobachten, der wir aber niemals sind, wenn wir uns nicht selbst beobachten und also beobachten wir, wenn wir uns selbst beobachten, niemals den, welchen wir zu beobachten beabsichtigt haben, sondern einen Anderen. Der Begriff der Selbstbeobachtung, also auch der Selbstbeschreibung ist also falsch. So gesehen sind alle Begriffe (Vorstellungen), sagt Oehler, wie Selbstbeobachtung, Selbstmitleid, Selbstbezichtigung und so fort, falsch. Wir selbst sehen uns nicht, wir haben niemals die Möglichkeit, uns selbst zu sehen. Wir können aber auch einem anderen (einen anderen Gegenstand) nicht erklären, wie er ist , weil wir ihm nur erklären können, wie wir ihn sehen , was wahrscheinlich dem entspricht, das er ist, das wir aber nicht so erklären können, daß wir sagen können, so ist er. So ist alles immer etwas ganz anderes, als es für uns ist, sagt Oehler. Und immer etwas ganz anderes, als es für alles andere ist. Ganz abgesehen davon, daß auch noch dieBezeichnungen, mit welchen wir bezeichnen, ganz andere als die tatsächlichen, sind. Insoferne alle Bezeichnungen gar nicht stimmen, sagt Oehler. Aber wenn wir solche Gedanken haben, sagt er, sehen wir bald, daß wir in diesen Gedanken verloren sind. In jedem Gedanken sind wir verloren, wenn wir uns diesem Gedanken ausliefern, liefern wir uns nur einem einzigen Gedanken wirklich aus, sind wir verloren. Wenn ich gehe, sagt Oehler, denke ich und behaupte ich, ich gehe und aufeinmal denke ich und behaupte ich, ich gehe und denke, weil ich das denke, während ich gehe. Und wenn wir zusammen gehen und diesen Gedanken denken , denken wir, wir gehen zusammen und aufeinmal, wir denken, wenn auch nicht zusammen, wir denken , aber es ist etwas anderes. Wenn ich denke, ich gehe, ist es etwas anderes, als wenn Sie denken, ich gehe, wie es etwas anderes ist, wenn wir beide zugleich (oder beide gleichzeitig) denken, wir gehen, wenn das möglich ist. Gehen wir auf die Friedensbrücke, habe ich vorher gesagt, sagt Oehler, und wir sind auf die Friedensbrücke gegangen, weil ich gedacht habe, ich denke, ich sage, ich gehe auf die Friedensbrücke, ich gehe mit Ihnen, also wir gehen zusammen auf die Friedensbrücke. Aber vollkommen anders, wenn Sie diesen Gedanken gehabt hätten, wenn Sie sich gedacht hätten, gehen wir auf die Friedensbrücke und so fort. Wenn wir gehen, sagt Oehler, kommt mit der Körperbewegung die Geistesbewegung. Diese Feststellung machen wir immer wieder, daß, wenn wir gehen, und dadurch unser Körper in Bewegung kommt, dann auch unser Denken in Bewegung kommt, das ja kein Denken war im Kopf. Wir gehen mit unseren Beinen, sagen wir, und denken mit unserem Kopf. Wir könnten aber auch sagen, wir gehen mit unserem Kopf. In solcher unglaublich labiler Geistesverfassung zu gehen, denken wir, wenn wir einen, den wir in solcher Geistesverfassung vermuten, wie wir glauben und sagen, gehen sehen. Dieser Mensch geht völlig kopflos, sagen wir, wie wir sagen, dieser kopflose Mensch geht unglaublich rasch oderunglaublich langsam oder unglaublich zielstrebig. Gehen wir, sagen wir, in den Franzjosefsbahnhof hinein, wenn wir wissen, daß wir sagen werden , gehen wir in den Franzjosefsbahnhof hinein. Oder wir denken, wir sagen, gehen wir auf die Friedensbrücke und gehen auf die Friedensbrücke, weil wir, was wir tun, nämlich auf die Friedensbrücke gehen, vorausgesehen haben. Wir denken, was wir vorausgesehen haben und tun, was
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