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Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)

Titel: Geheimnisvolles Vermächtnis (German Edition)
Autoren: Mary Hooper
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Mädchen, das sich langsam aufzurichten versuchte. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, doch sie schien sehr jung zu sein. Ihr loses, lockiges Haar (der Schal war ihr nämlich vom Kopf gerutscht) hatte die Farbe der am Boden liegenden Buchenblätter. James Solent zögerte einen Augenblick, dann löste er sich lautlos aus der Versammlung, um zu sehen, ob er behilflich sein könne. Er wusste, dass seine Schwester ihm dies nicht übel genommen, sondern, im Gegenteil, an seiner Stelle genauso gehandelt hätte.
    Als Grace ihn auf sich zukommen sah, schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, wegzulaufen, doch sie erkannte, dass ihr dazu nicht nur die körperliche Kraft, sondern auch die Energie fehlte. Außerdem, so sagte sie sich, wusste ja niemand, weshalb sie auf dem Friedhof war oder was ihr widerfahren war. Sie hatte ihre Fahrkarte bezahlt und dasselbe Recht, hier zu sein wie alle anderen auch.
    »Kann ich helfen? Sind Sie verletzt?« James sprach sie in ganz behutsamem Ton an, da er fürchtete, siekönne sich erschrecken und überstürzt davonlaufen, wenn er zu direkt oder laut auftrat. Sie mochte vielleicht dreizehn Jahre alt sein, schätzte er, und ihr bleiches Gesicht war von einer tragischen Schönheit. Ihre altmodischen Kleider schienen einmal von guter Qualität gewesen zu sein, waren jedoch, wie ihm auffiel, an mehreren Stellen geflickt, ausgebessert oder durchgewetzt.
    Grace setzte sich auf eine moosige Bank. Sie fühlte sich auf einmal ganz schwach. »Vielen Dank, Sir, aber es ist nichts. Ich bin nur über die Gabel gestolpert.«
    »Aber Sie haben sich doch wehgetan, oder?«, sagte James.
    Grace schüttelte den Kopf und bedeckte vorsichtig ihren Knöchel. »Es ist nicht schlimm. Ich war ja selbst schuld.«
    »Ich würde sagen, schuld waren die Gärtner von Brookwood!«, wandte James ein. »Aber zeigen Sie mir mal den Knöchel.«
    »Es tut fast gar nicht weh«, wehrte Grace ab und strich ihre Röcke glatt, so dass sie ihre Füße bedeckten und ihre schäbigen Schuhe vor ihm verbargen. »Ich   … ich möchte nur einen Moment hier sitzen bleiben, bis ich mich wieder erholt habe.«
    »Darf ich mich dann vielleicht zu Ihnen setzen?«, fragte James. »Ich habe heute nämlich schon mehr als genug über das Reich des Todes, den Zorn Gottes und die ewige Ruhe gehört, und das passt alles überhaupt nicht zu meiner Schwester. Außerdem will ichnicht dabei sein, wenn ihr Sarg in die Erde hinuntergelassen wird.«
    »Nein, bestimmt nicht.« Grace schüttelte den Kopf, denn sie selbst hatte diesen letzten Augenblick auch nicht mit ansehen wollen. »Dann ist das Ihre Schwester, die beerdigt wird?«, fragte sie schüchtern.
    James nickte und setzte sich neben sie. »Susannah.« Er seufzte. »Sie war ein fröhliches Mädchen, das immerzu lachte – und so will ich sie in Erinnerung behalten. Aber nun sehen Sie sich das alles an!« Er deutete auf die düstere Szene, die sich ihren Augen bot: professionelle Sargbegleiter in schwarzen Umhängen und Trauergäste mit schwarzen Zylindern auf dem Kopf. »Diese ganzen schwarzen Federn und Trauerstabträger, Sargbegleiter und Kutscher! All das Geschwätz über Leichenwagen und Pferde und wie lange man Trauerkleidung tragen sollte – das ist so gar nicht Susannah! Mein Vater will ein ägyptisches Mausoleum über ihr errichten lassen, in dem eine ewige Flamme brennt. Aber dieser ganze Pomp wird sie auch nicht zurückbringen.«
    Sie schwiegen eine Weile, dann sagte James: »Aber verzeihen Sie, dass ich zu fragen vergaß: Sind Sie auch zu einer Beerdigung hier?«
    Grace schüttelte den Kopf. »Nein, bloß um   … um nach dem Grab meiner Mutter zu sehen.«
    »Das ist traurig. Aber zumindest ist es ein schöner Ort für ihre letzte Ruhestätte. Die Statuen sind wunderschön.«
    Grace nickte zustimmend, denn auch ihr waren die wundervollen marmornen Engel und Putten aufgefallen, steinerne Anker an den Gräbern alter Seeleute, ein herrliches reiterloses Pferd für einen toten Jockey und sogar ein Flügel aus Stein auf der Gruft eines Musikers.
    »Mein Vater hat die Absicht, in angemessener Zeit sich selbst und meine Mutter in dem Mausoleum begraben zu lassen, und dann mich und meine Brüder.« Er schwieg einen Moment. »Aber wenn es Ihnen nicht zu schwer fällt, darüber zu sprechen, dann erzählen Sie mir doch, wann Ihre Mutter verstorben ist.«
    »Das ist lange her – fast zehn Jahre«, sagte Grace, und diesmal antwortete sie wahrheitsgemäß.
    »Aber Sie haben doch noch einen Vater, der
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