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Geheimnisse einer Sommernacht

Geheimnisse einer Sommernacht

Titel: Geheimnisse einer Sommernacht
Autoren: Lisa Kleypas
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war der infernalische Arbeitsplatz der dick vermummten Arbeiter mit ihren Stangen und Hämmern. Satans Lakaien verrichteten ihre Arbeit bestimmt nicht halb so gut wie diese Männer. Durch dieses Labyrinth von Feuer und Stahl bewegten sich die Gießereiarbeiter, duckten sich unter schweren Schwenkkränen und Kesseln mit flüssigem Stahl hinweg und erlaubten sich gelegentlich eine kurze Pause, wenn riesige Eisenplatten ihren Weg kreuzten. Annabelle bemerkte einige wenige neugierige Blicke in ihre Richtung, aber die meisten Gießereiarbeiter waren zu konzentriert auf ihre Arbeit, um sich ablenken zu lassen.
    Durch die Mitte der Gießerei lief eine Laufkatze mit einem Hängekran, der Loren voller Roh- und Alteisen oder Koks zu den mehr als sechs Meter hohen Kuppeln der Schmelzöfen hievte und in die Gichtglocke entleerte. Hierin wurde das Eisengemisch geschmolzen und über gigantische Gießpfannen mit weiteren Kränen in Gießformen geleitet. Die Luft in der Halle war schwer vom Gestank der Kohle, von Metall und Schweiß. Unwillkürlich drängte sich Annabelle an Simon, als das geschmolzene Eisen aus den Kübeln in die Gussformen gekippt wurde.
    Das Metall knirschte und ächzte bei der Bearbeitung, die dampfbetriebenen Maschinen zischten, die Schläge des von sechs Männern geführten großen Hammers hallten durch die Werkshalle. Bei jedem neuen Angriff auf ihre Ohren zuckte Annabelle zusammen. Schützend legte Simon seine Hand auf ihren Rücken, während er, gegen den ungeheuren Lärm anschreiend, sich mit Mr. Mawer, dem Leiter der Flanschenwerkstatt, unterhielt.
    „Haben Sie Lord Westcliff schon gesehen? Wir waren heute Mittag in der Gießerei verabredet. Ich habe noch nie erlebt, dass er sich verspätet.“
    Der nicht mehr ganz junge Gießereiarbeiter wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Ich glaube, Mr. Hunt, der Lord ist in der Montagehalle. Er wollte die Abmessungen der neuen Gusszylinder prüfen, bevor sie eingebaut werden.“
    Simon warf einen kurzen Blick auf Annabelle. „Wir gehen nach draußen. Hier drinnen ist es zu laut und zu heiß, um auf Westcliff zu warten.“
    Annabelle willigte sofort ein. Ihre Neugier war vollauf befriedigt, und Westcliffs Gesellschaft war immer noch dem unaufhörlich gnadenlosen Krach in der Gießerei vorzuziehen. Während Simon noch ein paar letzte Worte mit Mawer wechselte, beobachtete sie, wie ein dampfbetriebenes Gebläse eingeschaltet wurde, das dem großen zentralen Schacht des Schmelzofens Luft zuführte. Neben der Sauerstoffversorgung bewirkte die heiße Luft, dass das flüssige Metall über ein Rinnensystem in sorgfältig positionierte Gießtiegel floss, von denen ein jeder etwas mehr als eine halbe Tonne der heißen Flüssigkeit auffangen konnte.
    Ein besonders großer Haufen Alteisen wurde in die Füllklappe der Gichtglocke geschüttet. Offensichtlich viel zu viel, denn der Vorarbeiter schrie den Arbeiter, der die Lore beladen hatte, wütend an. Annabelle verfolgte die Szene genau. Mit einem kurzen Warngebrüll kündigten die Männer oben auf der Galerie einen weiteren Luftstoß des Dampfgebläses an. Und dann geschah das Unglück. Kochendes Eisen floss über die Rinnen, ergoss sich blubbernd über die Gichtglocke, landete zum Teil auf den Laufkränen. Simon und der Werkstattleiter der Flanschenabteilung blickten erschrocken hoch.
    „Jesus“, hörte Annabelle ihren Mann rufen und sah kurz sein Gesicht, bevor er sie auf den Boden schubste und sich schützend über sie warf. Im gleichen Moment tropften zwei kürbisgroße Brocken der infernalischen Masse in die Kühltröge und setzten augenblicklich eine Reihe von Explosionen in Gang.
    Annabelle fehlte die Luft zu schreien, denn Simon hatte sich so über sie geworfen, dass seine Schultern wie ein Schild über ihrem Kopf lagen. Die Druckwelle und der Krach waren ungeheuerlich. Und dann …
    Stille.
    Hatte die Erde unter dem ungeheuren Lärm aufgehört sich zu drehen? Verwirrt versuchte Annabelle um sich zu schauen. Lodernd heller Feuerschein, unheimliche Maschinen warfen Furcht erregende Schattenbilder, wie Monster in den Illustrationen mittelalterlicher Bücher. Immer wieder trafen sie heiße Feuerstöße mit solcher Wucht, dass sie befürchtete zu verglühen. Es regnete Metallspäne, Eisensplitter flogen wie kleine Geschosse durch die Luft. Um sie herum herrschte Chaos, aber eine unheimliche Stille lag über dem wilden Durcheinander. Dann verspürte sie plötzlich ein Knacken in den Ohren, gefolgt von einem
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