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Geheimnisse einer Lady

Geheimnisse einer Lady

Titel: Geheimnisse einer Lady
Autoren: C Milan
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nichts von Tierquälerei, und Champion ist ein Tier, ein Lebewesen, kein Stück Holz, falls Ihnen das entgangen sein sollte. Im Übrigen ist es ratsam, Tiere anständig zu behandeln, die groß genug sind, um einen Menschen zu Tode zu trampeln, wenn sie vor Angst dazu getrieben werden. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren, Sie Rohling.“
    Die flüchtige Ahnung einer Erinnerung stellte sich wieder ein, beunruhigend wie undefinierbarer Rauchgeruch im Wind. Die Stimme war Kate irgendwie vertraut – aber nein, diesen unbefangen selbstbewussten Tonfall hatte sie noch nie gehört.
    Kate holte wieder tief Atem und erstarrte. Bislang hatte sie den Gaul nur flüchtig wahrgenommen. Im Nebel hatte sie die hellen Flecken und Streifen in seinem Fell für eine ungewöhnliche Laune der Natur gehalten. Als sie nun oben auf der Mauer kauerte, erkannte sie die Zeichen. Es waren Narben. Narben von Peitschenhieben, unter denen die Haut geplatzt und Blut geflossen war. Narben, wo ein schlecht sitzendes Geschirr die Haut wund gescheuert hatte im Lauf von weiß Gott wie vielen Jahren der Schinderei.
    Kein Wunder, dass der bedauernswerte Gaul sich gegen seinen Peiniger aufgelehnt hatte.
    Der Tierschinder breitete abwehrend die Hände aus. „Was reden Sie da?“, verteidigte er sich. „Ich quäle den störrischen Klepper doch nicht. Und schon meine Mutter hat immer gesagt, Leiden sind von Gott geschickt, um uns stärker zu machen. Das steht auch in der Bibel, glaube ich wenigstens.“ Er begleitete seine Rede mit einem unschlüssigen Achselzucken.
    „Seltsam.“ Der Fremde lächelte entwaffnend. Sogar unter seinem dichten Bart wirkte sein Lächeln ansteckend, und der Fuhrmann erwiderte es mit einem breiten Grinsen, das schwarze Zahnlücken zeigte. „Ich entsinne mich an keine Bibelstelle, die das Prügeln von Tieren gutheißt. Außerdem muss ich Ihnen widersprechen. Nach meiner Erfahrung stärkt Leiden keineswegs. Vielmehr hinterlässt es böse Narben, die man jahrelang nicht loswird.“
    „Was?“
    Der Gentleman machte eine wegwerfende Handbewegung und wandte sich wieder dem Pferd zu. „Nur so ein Gedanke, nicht der Rede wert. Gefühlsregungen, die sich ins Gedächtnis eingraben, sind zweifellos falsch.“
    Kate unterdrückte ein Lächeln. Als könnte der Gentleman sie sehen, zogen sich seine Mundwinkel hoch. Da seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem zitternden Zugpferd galt, zweifelte sie allerdings daran, dass er sich ihrer Gegenwart überhaupt noch bewusst war. Langsam rutschte sie von der Mauer zur Erde.
    Der Fremde kramte in seinen Manteltaschen und holte einen Apfel hervor. Die Nüstern des Gauls blähten sich, seine Ohren richteten sich halb auf. Seine vorstehenden Rippen und die eingefallenen Flanken zeigten, dass er halb am Verhungern war. Unter den verkrusteten Striemen und Abschürfungen mochte sein Fell einst kastanienbraun gewesen sein. Aber Kohlenstaub und Straßendreck hatten seinem stumpfen Fell jeden Glanz genommen.
    „Um Himmels willen, füttern Sie ihn nicht“, protestierte der Fuhrmann. „Der Gaul ist nichts wert. Er gehört mir seit drei Monaten, aber so oft ich ihn die Peitsche auch spüren lasse, er bleibt widerspenstig und bockbeinig.“
    „Da haben wir es“, gab der Gentleman zurück. „Das klingt nicht nach Einsicht, hab ich recht, Champion?“ Er warf den Apfel vor der Pferdeschnauze zur Erde und richtete den Blick in die Ferne.
    Er schien gut mit Pferden umzugehen. Sanft. Freundlich. Nicht, dass es eine Rolle gespielt hätte, denn wer immer er auch sein mochte, sie wollte nichts mit ihm zu tun haben. Er durfte nichts von Lady Kathleen erfahren, wenn sie ihre Geheimnisse bewahren wollte. Kate begann, sich vorsichtig von dem Schauplatz zu entfernen.
    „Champion? Wen nennen Sie denn Champion?“
    „Nun ja, hat er denn einen anderen Namen?“ Der Fremde machte keine Anstalten, sich dem Pferd zu nähern. Er stand in drei Schritten Abstand, die Zügel locker in der Hand, und hielt den Blick in die Ferne gerichtet, genauer gesagt nach Berkswift, Kates Herrenhaus hinter der nächsten Anhöhe und der von Bäumen gesäumten Auffahrt.
    „Einen Namen?“ Der Fuhrmann zog die Stirn in Falten, als sei ihm diese Vorstellung völlig fremd. „Ich sag einfach Hü und Hott oder Brr, wenn er stehen bleiben soll. Der Klepper ist nichts wert, für den krieg ich nicht mal einen Penny fürs Pfund Fleisch vom Schlachter.“
    Der Gentleman krümmte die Finger um die Zügel. „Ich gebe Ihnen zehn Pfund Sterling für das
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