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Gegensätze ziehen sich aus

Titel: Gegensätze ziehen sich aus
Autoren: Kerstin Gier
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durch Kanada touren.«
    Oder: »Wenn die Kinder größer sind, können wir an den Coq au vin auch wirklich mal Wein machen.«
    Oder eben: »Wann lerne ich denn endlich mal deine Eltern kennen?«
    »Am liebsten gar nicht«, murmelte ich, aber das hörte Anton nicht.
    »Meine Eltern sind auch schon ganz neugierig auf deine Eltern«, sagte er.
    Das glaubte ich ihm sofort.
    Ich konnte mir gut vorstellen, wie seine Mutter sich den Burberry-Rock unter dem Kaschmir-Ensemble glatt strich und sagte: »Nun, lieber Anton, wenn es dir ernst ist mit Constanze, dann wird es wohl langsam Zeit, dass wir ihre Eltern kennen lernen. Es ist immer gut zu wissen, aus welchem Stall man kommt, nicht wahr?«
    Im Fall meiner Eltern konnte man das mit dem Stall wörtlich nehmen: Sie kamen direkt aus unserem Kuhstall auf der Nordseeinsel Pellworm. In meiner Ahnenreihe hielt man vergeblich nach königlichem Blut und Geldadel Ausschau, dafür fand man jede Menge schlaue nordfriesische Milchbauern mit mehrfach prämierten Kühen.
    Aber nicht, dass wir uns falsch verstehen: Mir waren weder meine Eltern noch meine Ahnen, noch die Kühe peinlich. Es war vielmehr umgekehrt. Aus irgendwelchen Gründen hielten meine Eltern nicht besonders viel von mir, und zum Beweis für meine angeborene Unfähigkeit kramten sie ständig Geschichten aus meiner Kindheit hervor, in denen ich keine besonders gute Figur machte.
    »Ihr Bruder konnte noch vor ihr Rad fahren, dabei ist er drei Jahre jünger!«
    »Wochenlang roch das Kind noch nach Jauche, besonders bei Regenwetter.«
    »Warum sie die Straßenlaterne angeleckt hat, ist mir bis heuteschleierhaft. Wir hatten minus elf Grad, und es dauerte eine Ewigkeit, bis wir genug Kabel für den Föhn zusammenhatten ...«
    Außer diesen Geschichten wussten meine Eltern natürlich auch, dass einige der Dinge, die ich Anton in Anfällen geistiger Umnachtung über mich erzählt hatte, definitiv nicht stimmten. Und sie würden mich garantiert auffliegen lassen. Denn ich hatte niemals in den Ferien als Rettungsschwimmerin gejobbt, noch war ich schleswig-holsteinische Vize-Jugendmeisterin im Schach gewesen, noch hatte ich jemals in einer Band gesungen.
    Ich hörte meine Mutter schon lachen: »Constanze und singen? Da ist ja unsere Berta musikalischer.« Berta war eine Kuh.
    Ich wusste gar nicht so genau, wie es überhaupt hatte passieren können, dass ich Anton so was über mich erzählt hatte. Es war sozusagen im Affekt geschehen, als ich das dringende Bedürfnis gehabt hatte, Emily zu beeindrucken. Außerdem neigte ich dazu, ganz spontan Lügengeschichten zu erfinden, das war beinahe wie ein angeborener Reflex. Bis jetzt war ich aber noch nicht dazu gekommen, Anton dieses seltsame Phänomen zu erklären. So glaubte er zum Beispiel wirklich, ich hätte mein Psychologiestudium bis zum Diplom durchgezogen und wäre eine großartige Schwimmerin. Aber das einzig Positive, das ich über meine Schwimmkünste sagen konnte, war, dass ich im Badeanzug ziemlich gut aussah, jedenfalls, solange ich nicht schwamm. Das Psychologiestudium hatte ich wirklich bis zum Diplom durchgezogen, aber dann auf die Prüfungen und die Diplomarbeit verzichtet. Nicht, dass ich bei Anton das Gegenteil behauptet hätte, aber er nahm aus irgendwelchen Gründen wie selbstverständlich an, dass »Ich habe Psychologie studiert« dasselbe war wie »Ich bin Diplompsychologin«. Ich wartete immer noch auf eine gute Gelegenheit, ihm die Wahrheit schonend beizubringen, ohne dabei wie eine notorische Lügnerin dazustehen.
    Ich wartete auch noch auf eine gute Gelegenheit, meinen Eltern von Anton zu erzählen, um ehrlich zu sein. Julius hatte es bereits versucht. Er hatte meiner Mutter am Telefon gesagt, dass er mit Anton eine ganz tolle Raumstation aus »Lego« gebaut habe. Aber da hatte ich ihm auch schon den Hörer aus der Hand gerissen.
    »Ist Anton Julius' neuer kleiner Freund?«, hatte meine Mutter gefragt, und ich hatte geantwortet: »Also, klein ist er nicht gerade.« Und dann war ich ganz schnell auf das Wetter zu sprechen gekommen, darüber sprach meine Mutter mit mir ohnehin am liebsten. Über das Wetter und über das Raucherbein von Tante Gerti.
    »Was macht Frauen glücklich?«, fragte Trudi wieder, diesmal ein bisschen ungeduldiger.
    »Die, ähm, Kraft der positiven Gedanken?«, schlug ich vor, denn Trudi war eine glühende Anhängerin esoterischer Ideen. Auf meinem Nachttisch stapelten sich die Bücher, die sie mir ständig aufdrängte: Bestellungen beim
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