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Gegen jede Regel

Gegen jede Regel

Titel: Gegen jede Regel
Autoren: Sebastian Stammsen
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»Danach war ich beim Einkaufen.
Ich brauchte etwas Passendes für Venedig.« Sie ließ offen, für welche Tageszeit
oder welchen Anlass in Venedig sie neue Kleidung brauchte, aber das war auch
nicht entscheidend. »Ich war gegen sechzehn Uhr wieder zu Hause.«

    Anscheinend gab es für Frau Maier keine Verpflichtungen,
außer sich fit zu halten, einzukaufen und sich wohlzufühlen. Was auf den ersten
Blick verlockend war, verlor seine positiven Seiten, als ich mir vor Augen
führte, wie Kerstin Maier nach Hause kam.

    Sie berichtete, ihr Sohn sei schon weg gewesen, was sie von
einem Zettel erfuhr, den er ihr geschrieben hatte. Zumindest konnte ein Stück
Papier keinen Streit mit ihr anfangen.

    Ihr Mann war noch nicht zu Hause gewesen, obwohl sie den Abendflug
hatten nehmen wollen. Stattdessen fand sie seine Nachricht auf dem
Anrufbeantworter, dass er – wieder einmal – spät, vielleicht sehr spät nach
Hause kommen würde.

    Auf die Frage, was sie danach gemacht habe, antwortete
sie: »Gewartet.« Ihre Stimme klang dabei so bitter wie die Vorwürfe, die meine
Frau mir gemacht hatte, wenn ich ihr hatte sagen müssen, dass ich – wieder
einmal – spät oder sehr spät nach Hause kommen würde.

    Ich begann mich zu fragen, ob uns ein Therapeut hätte
helfen können, lenkte meine Gedanken jedoch wieder zu der Befragung, bevor ich
abdriften konnte und wichtige Informationen verpasste.

    Ihr Mann war gegen 23:30 Uhr nach Hause gekommen. Sieben
Stunden waren eine lange Zeit, um nichts zu tun außer zu warten, aber auch das
war in diesem Moment nicht entscheidend. Es war offensichtlich, dass uns die
Eltern erst einmal nicht weiterhelfen konnten, wenn es darum ging aufzuklären,
was Tobias vor seinem Tod gemacht hatte.

    Â»Haben Sie mit Tobias telefoniert, als Sie in Venedig waren?«

    Herr und Frau Maier schüttelten den Kopf.

    Â»Wissen Sie, was Tobias am Wochenende sonst noch vorhatte?«

    Wieder Kopfschütteln. Frau Maier wurde anscheinend klar,
dass sie einen weiteren Punkt versäumt hatte, den eine fürsorgliche Mutter
nicht ausgelassen hätte, und begann von Neuem zu schluchzen.

    Â»Könnten Sie uns sagen, wer alles einen Schlüssel zum
Haus hat?«, fragte ich.

    Peter Maier antwortete: »Nur wir drei und die Haushälterin.«

    Das kam mir ungewöhnlich vor. »Haben Sie keine Ver-wandten?
Bruder, Schwester?«

    Â»Doch, aber die haben keinen Schlüssel.«

    Nina und ich sahen uns an. Das war wiederum aufschlussreich.
Dann setzte Nina zur Landung an. »Frau Maier, Herr Maier, haben Sie vielen Dank
für Ihre Geduld. Ich weiß, dass es für Sie sehr schwierig war, unsere Fragen zu
beantworten. Wissen Sie denn schon, wo Sie übernachten werden?«

    Die Maiers wussten es nicht. Sie versuchten auch, einen
Blick auszutauschen, was allerdings dadurch unmöglich war, dass Peter Maier
hinter seiner Frau stand. Schließlich löste Herr Maier seinen Griff von der
Sessellehne und stellte sich vor seine Frau. Sie stand auf und dann fanden sie
die Kraft zu einer Umarmung.

    Ich nutzte die Zeit, um in meiner Manteltasche nach einer
Visitenkarte zu suchen. Als ich eine gefunden hatte, sagte Peter Maier über die
Schulter seiner Frau zu uns: »Ich denke, wir werden in ein Hotel gehen. Die
Firma nutzt ein Hotel in der Stadt, um Gäste unterzubringen.« Er nannte mir den
Namen.

    Ich sagte: »In Ordnung. Wenn Sie Ihre Sachen gepackt
haben, wird ein Kollege von uns Sie ins Präsidium fahren. Ich muss Sie bitten,
Ihre Aussage dort noch zu Protokoll zu geben.«

    Peter Maier sah nicht glücklich aus, widersprach aber
auch nicht. Ich gab ihm meine Karte. »Vielen Dank, Herr Maier. Sollte Ihnen
noch etwas einfallen, zögern Sie nicht, mich anzurufen. Ich bin jederzeit für
Sie ansprechbar.«

    Er nahm die Karte, dann schlossen sich seine Arme wieder
um seine Frau. Ich schätzte, dass die Maiers solche Momente nicht allzu oft
teilten und diese Nähe im Moment dringender brauchten als jemals zuvor. Deshalb
gingen wir diskret aus dem Raum.

    Â 
    Inzwischen war es halb zwei und in meinem Magen
breitete sich eine Vorahnung von Hunger aus. »Wollen wir uns noch sein Zimmer
anschauen?«, schlug ich vor.

    Das Spurensicherungsteam hatte bisher im Zimmer des
Jungen nur fotografiert und wartete wahrscheinlich schon auf uns. Nina seufzte,
als wir die Treppe hinaufstiegen. Wir vergewisserten
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