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Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)

Titel: Gegen den Strom: Ein Gespräch über Geschichte und Politik (German Edition)
Autoren: Joschka Fischer , Fritz Stern
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mir erfundene norwegische Widerstandsaktion ausgedacht habe. – Zurück zu Lüdemann. Er sollte bei dieser Feier reden. Ich war zwar eher skeptisch über die ganze Veranstaltung, aber ich wollte ihn gern wiedersehen, also bin ich hin. Am Eingang musste man eine Einladung vorzeigen. Ich hatte keine. Da bin ich in das nächste Papiergeschäft gegangen, habe mir ein Kuvert gekauft, es an Herrn Ministerpräsident a. D. adressiert – Lüdemann war von 1947 bis 1949 Ministerpräsident von Schleswig-Holstein gewesen – und einen Polizisten am Eingang gebeten, den Umschlag bitte gleich Herrn Lüdemann zu übergeben. Da sagte der Polizist sehr freundlich: «Mach das doch selber.» Und so bin ich reingekommen.
    FISCHER    Ein freundlicher deutscher Polizist! 1954!
    STERN    Als Lüdemann zu Ende gesprochen hatte, stand Adenauer auf, der in der ersten Reihe saß, aber nicht als Redner vorgesehen war, und ergriff das Wort. Er war sichtlich verärgert, dass an diesem Tag nur ein Sozi zu Wort kommen sollte. Ich war überzeugt, gehört zu haben, dass er sagte, wir sind hier zusammengekommen, um diejenigen zu ehren und an diejenigen zu erinnern, die versucht haben, die deutsche Ehre zu retten. In den Zeitungen der nächsten Tage war dann zu lesen, man habe diejenigen geehrt, die die deutsche Ehre gerettet haben. Hatte ich da etwas falsch verstanden? Ich habe eigens die «Neue Zürcher» gekauft, und da stand es so, wie ich mich erinnerte: Die versucht haben, die Ehre zu retten. Das ist ein Unterschied.
    FISCHER    Die Rede von Heuss hat bei Ihnen keinen Eindruck hinterlassen?
    STERN    Doch, die Rede von Heuss war politisch ungeheuer wichtig, sie leitete im Umgang mit dem Vermächtnis des 20. Juli zweifellos ein gesellschaftliches Umdenken ein. Aber Heuss sprach sehr leise und hastig. Die Rede wurde übrigens am Vortag in der Freien Universität gehalten, nicht im Hof des ehemaligen Oberkommandos. – Ich möchte gern noch eine kleine Anekdote zum 20. Juli 1954 nachtragen. Einige Tage später besuchte ich den bekannten konservativen Historiker Siegfried Kaehler, um mit ihm über meine Dissertation zu sprechen. Kaehler hatte sich in der Nazizeit einigermaßen anständig benommen und war sehr freundlich zu mir. Dann erzählte ich ihm von der Feier und von Lüdemanns Rede. «Dieser Schuft», rief er. Wieso Schuft? «Na, die Weibergeschichten.» Ich meinte, dass man das doch trennen müsse; jemand, der jahrelang im KZ gewesen ist und sich dann nochmals zum Widerstand gemeldet hatte, und dessen private Verfehlungen. So ein Vorwurf erschien mir unverhältnismäßig. Da sagte Kaehler: «Na, wir konnten doch nicht alle Eintrittskarten für das KZ bekommen.» Das hat mich tief erschüttert.
    FISCHER    Er wäre sicher reingekommen, wenn er es gewollt hätte. Er hätte nur ein bisschen heroischer sich verhalten müssen. Solche Bemerkungen dürften kaum dazu beigetragen haben, Ihr Misstrauen gegenüber den Deutschen abzubauen.
    STERN    Das kann man so sagen. Später habe ich einen Brief Kaehlers gefunden an seinen Sohn aus dem Jahre 1945 oder 1946, jedenfalls kurz nach der Niederlage. Darin hieß es sinngemäß, wenn es uns gelingen sollte, wieder eine Universität aufzubauen in Deutschland, dann müssen wir uns wehren gegen den jüdisch-intellektuellen oder jüdischliberalen Einfluss von außen. Sätze eines ehrwürdigen Konservativen nach dem Krieg!
    FISCHER    Der Antisemitismus spielte bei der Abwehr der Emigration nach 1945 wohl eine große Rolle.
    STERN    Ich habe Ihnen ja erzählt, dass ich mich zuletzt etwas eingehender mit Karl Bonhoeffer beschäftigt habe, und viele Geschichten gehen mir nach. Da gab es einen Militärrichter Roeder, der die Untersuchungen gegen die Rote Kapelle leitete und dann auch die Ermittlungen gegen Bonhoeffer und Dohnanyi durchführte – ein Mann von ungewöhnlicher Brutalität. Gleich nach Kriegsende wurde Roeder angezeigt. Die Verfahren vor deutschen Gerichten zogen sich bis Ende der sechziger Jahre hin, aber Roeder blieb bis zum Schluss unbehelligt. Und nicht nur das. Der CIC, der militärische Abschirmdienst der USA, hofierte ihn, weil man annahm, dass er aufgrund seiner Ermittlungen gegen die Rote Kapelle viel über den Kommunismus wisse, und auch die CDU nahm ihn gern in ihren Reihen auf. Als Herr Röder 1971 friedlich starb, war er stellvertretender Bürgermeister einer kleinen hessischen Stadt, ein Mann, der sich in den Verhören von Bonhoeffer und Dohnanyi wie ein
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