Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gefürchtet

Titel: Gefürchtet
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
wäre vom Balkon ins Wasser gestürzt«, sagte ich.
    »Das haben Sie also nicht selbst beobachtet.«
    »Nein, aber …«
    Ein Deputy kam herein. Regentropfen hingen in seinem
Bürstenhaarschnitt wie Tau. »Ent schuldigung, wie war noch Ihr Name?«
    »Evan Delaney.«
    Er notierte das. »Und wie hieß die Frau, die vom Balkon gestürzt ist?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte ich. »Ich habe sie nicht gesehen. Das Ganze ist passiert, bevor ich hier war.«
    Der Einsatzleiter legte sein Funkgerät auf den Tisch. »Sie wissen also gar nicht, ob tatsächlich jemand ins Meer gefallen ist.«
    »Nein.«
    »Das Problem ist«, sagte der Deputy, »dass niemand vermisst wird.«
    In diesem Augenblick betrat Toby die Küche, der Mann, der mich ins Haus gelassen hatte. Der Deputy wandte sich ihm zu.
    »Das stimmt doch, oder?«
    Toby kratzte sich an der Nase. An sei nem Körper war kein Gramm Fett. Mit den sehnigen Muskeln und der tiefen Sonnenbräune erinnerte er irgendwie an Trockenfleisch.
    »Zu mir hat keiner was gesagt. Wenn jemand über das Geländer gefallen wäre, hätte ich das doch ge merkt. Irgendwer hätte geschrien, das hätte ich hören müssen.«
    Bloß keine Verantwortung übernehmen! Das war mal wieder typisch. Der Deputy nickte.
    »Nicht unbedingt«, wandte ich ein. »Das Unwetter draußen, die Musik, der Mixer, die brennende Couch - da ist so was leicht zu überhören. Außerdem gab es jemanden, der den Vorfall beobachtet hat: meinen Bekannten. Es tut mir leid, falls ich mich irre. Aber ich wollte nicht das Risiko eingehen, dass da wirklich eine Frau im Wasser treibt.«

    Der Einsatzleiter griff nach sei nem Funkgerät. »Die Jet skis suchen die Küste ab, aber bei dieser Brandung kann ich sie nicht lange draußen lassen.«
    Der Deputy fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Was ist denn mit Ihrem Bekannten? War er …«
    »Völlig fertig«, warf Toby ein. »Absolut durchgeknallt. Und zwar nicht von der Party. Der hatte schon einiges geladen, bevor er herkam. Ich kenne den Mann gar nicht.«
    »Wo ist er? Wir würden gern mit ihm sprechen.«
    »Weg«, erwiderte Toby. »Der hat sich mit affenartiger Geschwindigkeit abgesetzt.«
    »Wie heißt er?«
    »Blackburn.« Toby zog ein zusammengelegtes Blatt Druckerpapier aus der Hemdentasche, faltete es auseinander und starrte angestrengt auf den Text. »Jesse Blackburn.«
    Ich rieb mir die Augen. »Nein, das stimmt nicht.«
    »Hier steht’s doch.« Toby reichte mir den Zettel.
    Es war eine E-Mail, mit der ich Jesse meine neue Handynummer mitteilte. »Wo ist das her?«
    »Er hatte eine Gitarre dabei. Die Mail hab ich im Koffer gefunden.«
    Warum hatte ich geglaubt, Jesse aus der Sache heraushalten zu können? Der Boden unter meinen Füßen öffnete sich und drohte mich zu verschlingen.
    »Der Mann hier war Jesses Bruder PJ«, stellte ich richtig.
    »PJ«, wiederholte der Deputy. »Was heißt das?«
    »Patrick John.«
    Auf und davon. Das reimte sich.
     
    Toby stand mit den Feuerwehrleuten in der Einfahrt neben dem kokelnden Sofa und schaute mir nach, als ich davonfuhr.
Als ich das Lenkrad einschlug, huschten die Scheinwerfer über sein Gesicht. Er wirkte nicht gerade begeistert, dass ich ihm solchen Ärger eingebrockt hatte.
    Ich rollte nur bis ans Ende der Straße und stieg aus. Zwischen den Häusern führte ein Fußweg zur Steilküste hinunter. Der Wind zerrte an mir. Ich hörte und sah nur das allgegenwärtige, kalte Tosen des Wassers.
    PJ, was ist heute Nacht passiert? Hast du die Wahrheit gesagt?
    Er war gut darin, die Wahrheit zu sagen, auch wenn sie noch so unangenehm war. Das hatte er mir überzeugend bewiesen. Aber ich hatte keine Ahnung, ob die wirre Geschichte von heute Nacht Tatsache oder sei ner vom Kokain beflügelten Fantasie entsprungen war.
    Ich stieg wieder ins Auto und fuhr zu sei nem Studentenwohnheim, das nur ein paar hundert Meter entfernt lag. Das Gebäude nannte sich »Don Quixote« und war ein Ausbund an Schäbigkeit. Ich musste drei Mi nuten lang an die Tür hämmern, bis PJs Zimmergenosse öffnete. Sei ne Augen waren vom Schlaf verklebt, und er hatte es offenbar nicht für nötig erachtet, das Pierc ing aus sei ner Unterlippe zu entfernen, bevor er sich zur Ruhe begab. »Scheißparty! Wenn ich mei ne Hose finde, gehe ich«, las ich auf sei nem T-Shirt. Als ich ihn nach PJ fragte, kratz te er sich unter den Achseln.
    »Der wohnt nicht mehr hier«, erklärte er.
    »Und ob. Das da neben dem Sofa ist seine Akustikgitarre.«
    »Schuldet er dir Geld?«
    Die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher